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»Kommt der Kongo nicht auf die Beine, werden neue Flüchtlingsströme ausgelöst.«

Leitartikel
Bundeswehr in den Kongo

Schwierig,
gefährlich,
notwendig


Von Dirk Schröder
780 deutsche Soldaten haben ihren Marschbefehl in der Tasche. In wenigen Tagen beginnt einer der äußerst heftig und kontrovers diskutierten Auslandseinsätze. Am 10. Juli startet die Bundeswehr mit der Verlegung des Hauptkontingents in den Kongo.
So viel Kritik wie am Kongo-Einsatz hat es zuvor noch bei keiner Auslands-Mission gegeben. Bis hinein in die Bundeswehr wurde und wird diese Entscheidung äußerst skeptisch gesehen. Doch man wird diesem Einsatz nicht gerecht, wenn man von einer »Show-Veranstaltung« spricht, mit der die Europäer zeigen wollten, dass sie bereit sind, weltweit politisch Verantwortung zu übernehmen und auch an Krisenplätzen militärisch präsent zu sein.
Auch wenn die Bundeswehr nur in der Hauptstadt Kinshasa eingesetzt werden soll, die als verhältnismäßig ruhig gilt - es bleibt ein gefährlicher und schwieriger Einsatz. Aber es ist auch ein notwendiger Einsatz. Bislang ist immer nur über die Verantwortung, die Europa für den schwarzen Kontinent habe, debattiert worden. Es wird Zeit, diese Verantwortung wahrzunehmen. Die Absicherung der ersten freien Wahlen im Kongo seit 40 Jahren kann dazu beitragen, das Land zu demokratisieren und zu stabilisieren. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Doch selbst die kleinste Chance nicht wahrzunehmen, dass dieser Kontinent mit seinen vielen Krisenherden auf diesen Weg einschwenkt, wäre verantwortungslos.
Wenn der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele, bekannt für seine pazifistische Grundhaltung und seine Kritik an den diversen Auslandseinsätzen, gar eine Aufstockung der EU-Truppe verlangt, lässt dies aufhorchen. Die Antwort ist einfach: Er war im Kongo und hat sich dort ein Bild gemacht.
Im Kongo hat sich eines der großen Menschheitsverbrechen zugetragen, und die Europäer haben wieder einmal weggeschaut. Vier Millionen Tote hat der Bürgerkrieg gefordert. Und auch wenn dieser seit 2002 offiziell beendet ist, sterben dort täglich noch immer 1200 Menschen.
Die Menschen im Kongo leben in einer hoffnungslosen Lage. Ebenso wie in der Krisenregion Darfur im Sudan, wo der schleichende Völkermord kein Ende findet.
Auch wenn die Region Kinshasa nur einen kleinen Teil des Landes umfasst, das so groß wie Westeuropa ist: Es ist richtig, dass Europa den Kongo jetzt nicht im Stich lässt. Ohne die Wahlen ist jeder Weg zu einem stabilen Kongo verbaut. Der Beginn einer demokratischen Entwicklung kann doch auch der Schlüssel sein zur Befriedung vieler weiterer Krisenherde in Afrika. Europa muss diese kleine Chance wahrnehmen, darf das Land nicht sich selbst überlassen.
Es geht nicht nur um die Glaubwürdigkeit Europas, Europa muss auch ein Eigeninteresse haben. Kommt der Kongo nicht auf die Beine, werden sich neue Flüchtlingsströme ausbreiten - und nicht nur über Afrika. Auf den Kanaren bekommt Europa dies bereits zu spüren.

Artikel vom 07.07.2006