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»Nur« 22 Milliarden auf Kredit

Steinbrück erhofft nach fünf Ausnahmejahren verfassungsgemäßen Etat

Berlin (Reuters). Nach Änderungen in allerletzter Minute hat die Regierung den Haushaltsentwurf 2007 beschlossen.
Trotz Risiken in Milliardenhöhe durch die Arbeitsmarktreform Hartz IV kündigte Finanzminister Peer Steinbrück gestern in Berlin an, mit dem Zahlenwerk erstmals seit fünf Jahren wieder die Vorgaben des europäischen Schuldenpakts und des Grundgesetzes einzuhalten. Unmittelbar vor dem Beschluss des 1368 Seiten starken Etats musste Steinbrück eine Regelung abschwächen, die er als Notfall gegen eine weitere Kostenexplosion beim Arbeitslosengeld II vorgesehen hatte.
Zu der im Gesundheitskompromiss vereinbarten Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen aus dem Haushalt stellte er weitere Sparpakete in Aussicht. Steuererhöhungen schloss er für diese Legislaturperiode jedoch aus.
Steinbrück wischte von den Finanz- und Haushaltsexperten der Union vorgebrachte Bedenken beiseite. Er könne mit seinen Planungen auf der vorsichtigen Seite sein, ohne dabei die tatsächliche Entwicklung zu ignorieren. Die von seinem Haus angenommene Entwicklung der Steuereinnahmen sei realistisch. Auch habe die Regierung ausreichend Vorsorge getroffen, um mögliche Mehrkosten beim Arbeitslosengeld II abzufedern. Bereits im laufenden Jahr sei es höchst wahrscheinlich, dass Deutschland die europäisch erlaubte Neuverschuldung von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes einhalten werde.
Die EU-Kommission kündigte an, sie werde sich nach gründlicher Prüfung des Zahlenwerks nach der Sommerpause dazu äußern. Dabei gehe die Kommission davon aus, dass sich Deutschland in die richtige Richtung bewege, sagte eine Sprecherin in Brüssel.
Die zusätzlichen Ausgaben zur Finanzierung der Mitversicherung der Kinder in den gesetzlichen Krankenkassen ließen sich nicht aus dem laufenden Haushalt erbringen, sagte Steinbrück weiter. Er kündigte deshalb indirekt ein neues Sparpaket an. Das Kabinett habe eine Erhöhung der Neuverschuldung zu diesem Zweck eigens ausgeschlossen. Steuererhöhungen werde es in dieser Legislaturperiode auch nicht geben. Daher müsse der Betrag erwirtschaftet werden. Dies könne durch eine Erhöhung der Einnahmen oder eine Kürzung der Ausgaben oder einer Kombination von beidem geschehen.
Ministerien, Parlament und Bundesbehörden können nach den Planungen 2007 insgesamt 267,6 Milliarden Euro ausgeben. 214,5 Milliarden davon werden durch Steuereinnahmen erwirtschaftet. Sonstige Einnahmen machen zusammen 31,1 Milliarden Euro aus. Der Rest von 22 Milliarden Euro muss sich der Bund von Banken und am Kapitalmarkt leihen. 23,5 Milliarden Euro sollen für Straßen, Schienen und andere Investitionen ausgegeben werden.
Steinbrück hatte ursprünglich vorgesehen, sich bei den eingeplanten Kosten von 21,4 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II abzusichern. Jeder Cent an Mehrkosten sollte Arbeitsminister Franz Müntefering durch Einsparungen bei den Mitteln erbringen, mit denen Langzeitarbeitslose wieder fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden. Diese Regelung sei in Verabredung mit Müntefering auf eine Milliarde Euro reduziert worden. Dies entspreche der auch für das laufende Jahr vorgesehenen Absicherung. Die Kosten für das Arbeitslosengeld II bezifferte Steinbrück auf voraussichtlich 26,4 Milliarden Euro, zwei Milliarden mehr als vorgesehen.
Der Koalitionspartner attackierte den Finanzminister. Der stellvertretende Fraktionschef der Union, Michael Meister, sprach von Risiken in Höhe von vier Milliarden Euro. Er verwies dabei auf das Arbeitslosengeld II und die Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose. Der Unions-Haushaltsexperte Steffen Kampeter aus Minden (beide CDU) kündigte umfangreiche Veränderungen während der parlamentarischen Beratung an. Es sei erstaunlich, dass die Regierung es wieder dem Bundestag überlasse, über die Problembereiche zu verhandeln.

Artikel vom 06.07.2006