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Ein Formular für die Existenzgründung

Michael Heesing über die gemeinsamen Ziele deutscher und französischer Handwerker

Bielefeld (WB). Die Gräben, die der Zweite Weltkrieg ausgehoben hat, sind überwunden. Heute warten neue Aufgaben auf die deutsch-französischen Freundschaftsvereine, meint Michael Heesing, Hauptgeschäftsführer der OWL-Handwerkskammer, im Gespräch mit Bernhard Hertlein.
Die »Jumelage« der Handwerkskammern OWL, Loire-Atlantique und Vendée feiert 25. Geburtstag. Unser Foto zeigt Hauptgeschäftsführer Michael Heesing mit einem Geschenk der Partner. Foto Bernhard Pierel

Nicht mehr allzu viele Ehen erreichen den silbernen Hochzeitstag. Dabei handelt es sich bei der »Jumelage«Êder Handwerkskammern OWL, Vendée und Loire-Atlantique sogar um eine Ménage à trois. Was ist das Geheimnis der langen Dauer dieser Liebesbeziehung?Heesing: Wie so oft, liegt das Geheimnis in den Personen. Bei Haupt- und Ehrenamtlichen gibt es zum Glück eine große Kontinuität von Menschen, für die der Informations- und Meinungsaustausch und die deutsch-französische Freundschaft einen hohen Stellenwert haben. Dass es drei Kammern sind, hat den Vorteil, dass bei einem personellen Wechsel nicht alle wieder von vorne beginnen.

    Wem nützt die Jumelage?Heesing: Ein Dauerläufer in dieser Verbindung ist der Lehrlingsaustausch. Ein über das andere Jahr nehmen jeweils 20 Auszubildende aus einem der beiden Länder teil. Damit verbunden sind die Mitarbeit in einem Handwerksbetrieb und das Leben in einer fremden Familie. Von diesen Erfahrungen profitieren die Junghandwerker meistens lebenslang.
Auch für die Erwachsenen gilt, dass die gegenseitigen Besuche und Gespräche unter Handwerkern den Horizont unbeschreiblich erweitern. Dies ist in der globalisierten Welt ein großer Vorteil, auch wenn er sich nicht in Euro und Cent umrechnen lässt.
Eine Aufgabe hat die Jumelage bereits erfüllt: die Förderung der deutsch-französischen Freundschaft. Vor 30 Jahren, als die ersten Kontakte geknüpft wurden, lebten auf beiden Seiten noch Veteranen des Zweiten Weltkriegs, die zum Teil natürlich Vorbehalte hatten. Sie wurden in vielen Gesprächen und Begegnungen aufgearbeitet und spielen heute keine Rolle mehr.

Gibt es Gewerke, bei denen die Beziehungen besonders eng sind?Heesing: Die Jumelage umfasst alle Bereiche des Handwerks. In der Vergangenheit gab es zu bestimmten Zeiten einen besonders engen Austausch zwischen Friseuren, Fleischern und Zulieferern für die Industrie. Derzeit entdecken die Elektro-Handwerker gemeinsame Probleme. Darüber hinaus ist das Kunsthandwerk naturgemäß an einem engen Austausch interessiert.

Welche gemeinsamen Probleme gibt es?Heesing: In Deutschland wie in Frankreich fühlen sich die Handwerker durch das Arbeitsrecht eingeengt. Ebenso bietet die staatliche Bürokratie auf beiden Seiten Anlass zur Klage, auch wenn der Abbau in Frankreich in Teilen schneller geschieht als in Deutschland. So genügt dort für die Neuanmeldung eines Betriebs seit längerem ein einziges Formular -Êein Zustand, den wir bei uns erst anstreben. Ein weiteres Anliegen, das beide Seiten verbindet, ist die Bekämpfung der Schwarzarbeit.

Frankreich kennt keine Meisterpflicht. Stoßen die deutschen Handwerker mit ihrem Anliegen trotzdem auf Verständnis bei den Kollegen?Heesing: Es gibt das System des Meisterbriefs auch in Frankreich -Ênur nicht in der ausgeprägten Form wie bei uns. Trotzdem führt auch dort der Weg in die Selbstständigkeit nur über den Nachweis von Grundkenntnissen. Das dient der Qualitätssicherung und liegt im Interesse der Kunden.

Worum beneiden deutsche Handwerksunternehmer ihre französischen Kollegen?Heesing: Um die Art, Probleme zu lösen -Êmit einer viel größeren Gelassenheit als hier.

Und worum beneiden Sie sie nicht?Heesing: Um die 35 Stunden-Woche. In Frankreich hat sie vor ein bis zwei Jahren sogar dazu geführt, dass Handwerker Aufträge aus Mangel an Personal nicht ausführen konnten.

Was bleibt als gemeinsame Aufgabe für die nahe Zukunft?Heesing: Nach dem im Zuge des so genannten Bologna-Prozesses die universitären Abschlüsse angeglichen wurden, strebt die Europäische Union Ähnliches jetzt auch für die Berufsausbildung an. Wir wollen, dass die Lösung nicht von Bürokraten in Brüssel, sondern möglichst zwischen den Handwerkern in den Ländern erarbeitet wird.

Artikel vom 06.07.2006