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Lyrik hat eine
andere Gestalt

Gottfried Benn starb vor 50 Jahren

Von Thomas Oser
Hamburg (dpa). Seine Gedichte hängen über dem Abgrund der Unverständlichkeit. Doch gerade dabei kommen die Worte, nicht zuletzt die Substantive, zum Blühen und die Verse erlangen so einen unverwechselbaren Klang. Vielleicht ist es das, was die Dichtung Gottfried Benns auch 50 Jahre nach seinem Tod, am 7. Juli 1956, noch so anziehend macht.

Im Licht seiner hoch artifiziellen Texte droht mitunter das Leben des Dichters zu verblassen. Benn selbst beförderte dies, indem er einmal sein Leben so zusammenfasste: »Geboren 1886 und aufgewachsen in Dörfern der Provinz Brandenburg. Belangloser Entwicklungsgang, belangloses Dasein als Arzt in Berlin.«
In dem Maße wie Benn sein bürgerliches Leben herunterspielte, überhöhte er seine Existenz als Dichter. In der Tat traute Benn allein der Dichtung, nicht zuletzt seiner eigenen, die Kraft der Erlösung zu - symptomatisch hierfür ist sein Diktum: »Am Anfang war das Wort und es wird auch am Ende sein.«
Nur einmal - 1933 - ließ sich Benn zu einer gegenteiligen Auffassung hinreißen und bereute es ein Jahr später bitter: Im »Dritten Reich« sah er zunächst den Aufbruch in ein Zeitalter, in dem sich endlich das Elementare wieder Bahn bricht. Benn war nicht nur ein stiller Sympathisant, sondern unterstützte vor allem durch Radioessays die Politik Hitlers.
Nach seinem politischen Fehltritt gab Benn, der eine militärärztliche Ausbildung erhalten hatte, 1935 seine private Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten auf und kehrte zur Armee zurück - für ihn war dies »die aristokratische Form der Emigration«. 1938 erhielt er Schreibverbot, unter anderem deshalb, weil er 1933 die moderne Kunst, die die Nazis als »entartet« brandmarkten, verteidigt hatte.
Benn schrieb dennoch weiter. Doch seine Lyrik gewinnt nun eine andere Gestalt: Der kämpferisch-stählerne Ton seiner propagandistischen Essays schlägt in sein Gegenteil um. Auch der dionysische Wunsch nach der Auflösung des »Hirnpanzers« und dem Zerfließen der Dinge, der seine frühe Lyrik und Prosa prägt, findet sich nun nicht mehr. Benns Ideal ist nunmehr die strenge, aber beruhigte Form, die jede Bewegung, jede Veränderung in sich tilgt.
1948 wurden diese Poeme unter dem Titel »Statische Gedichte« zunächst in der Schweiz und ein Jahr später auch in Deutschland veröffentlicht. Damit nahm Benns Comeback als Dichter seinen Lauf und der, der die meiste Zeit seines Lebens im Verborgenen gelebt hatte, gewann öffentlichen Ruhm: 1951 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet.

Artikel vom 05.07.2006