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»Wir haben Riesiges erreicht«

Von Ballack bis Bierhoff: Hoffnung auf Klinsmanns Vertragsverlängerung

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Berlin (WB). Die Farbe bleibt gleich, nur die Art der Trophäe hat sich ein wenig geändert. »Wir wollten den Goldcup nach Hause holen«, sagte Tim Borowski. »Nun kann es leider nur noch die Goldene Ananas werden.«

Diese Frucht erfreut sich in Fußballerkreisen nicht gerade größter Beliebtheit. Aber bei einer Weltmeisterschaft müssen zwei in den sauren Apfel beißen. »Es fällt schwer, sich jetzt noch auf das Spiel um Platz 3 zu konzentrieren«, bekannte der Bremer Borowski nach der Halbfinalniederlage gegen Italien. »Wir hatten einen großen Traum. Es ist einfach zu schade, dass wir uns den nun nicht mehr erfüllen können.«
Das Zusammenspiel von Andrea Pirlo und Fabio Grosso in der 119. Minute hatte ihn beendet. Pirlo legte den Köder, die deutsche Abwehr wagte sich zu weit heraus, Grosso schnippelte den Ball aus halblinker Position in die Ecke. Nicht zu halten für Jens Lehmann, zu verhindern vielleicht: »Wenn ich noch etwas ändern könnte, dann würde ich die 119. Minute gern noch einmal spielen«, wünschte sich Christoph Metzelder eine zweite Chance herbei.
Dabei hätte es möglicherweise genügt, die eigenen Gelegenheiten zu nutzen. Bernd Schneider, Miroslav Klose und Lukas Podolski bot sich in weiten Abständen die Möglichkeit, Italien auf seinen vielleicht einzigen wunden Punkt abzuklopfen: Haben es die Azzuri auch noch drauf, wenn sie hinten liegen? Was sie machen, wenn sie führen, ist bekannt. Zum Beispiel ein Kontertor in der Nachspielzeit, von Alessandro Del Piero zum 2:0 erzielt. Die Entscheidung fiel spät - und zerstörte die Illusion der Verlierer, geäußert von Podolski: »Im Elfmeterschießen hätten wir sie gepackt.« Das dachten viele. Klären lassen wird es sich nie.
Was vom Abend übrig blieb, und vom gesamten Turnier, ist trotzdem eine Menge. »Wir können stolz sein auf diese Mannschaft«, sagte der Bundestrainer. Die lieferte Jürgen Klinsmann die besten Argumente, sie nun nicht hängen zu lassen. Kapitän Michael Ballack spielte dem früheren Stürmer den Ball bereits direkt in den Lauf: »Ich möchte, dass die Truppe so zusammenbleibt, allen voran der Bundestrainer. Wir haben eine große Perspektive.« 2008 ist EM, 2010 schon wieder WM.
Klinsmanns Vertrag endet in 25 Tagen. DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder empfahl, den eigenwilligen Schwaben nicht zu drängen: »Ihn unter Druck zu setzen, bringt gar nichts.« Die von Klinsmann zur Familienberatung erbetene Bedenkzeit (»Gebt mir ein paar Momente«) ist allerdings begrenzt. Teammanager Oliver Bierhoff hat schon ein rotes Datum im Terminkalender stehen: »Wir haben am 16. August ein Länderspiel gegen Schweden, und da wollen wir einen Trainer präsentieren.« Er meint Klinsmann.
Vorbehalte im Verband scheinen ausgeräumt zu sein. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass da noch jemand gegen ihn ist«, meinte Mayer-Vorfelder. Mit der Opulenz des von Klinsmann vor zwei Jahren angeschobenen WM-Projekts hatten sich vor allem die Finanzverwalter im DFB schwergetan. »Gute und richtige Investitionen«, nannte hingegen Mayer-Vorfelder die Ausgaben. Die Nationalmannschaft ist wieder ein Vorzeigeteam geworden und eine gut geölte Werbemaschine obendrein.
Hätte nur noch der Titel gefehlt. Auf den hatte auch Bierhoff geschielt: »Wir haben Riesiges erreicht. Aber jeder möchte natürlich ganz oben sein und den Weltpokal in den Händen halten.« Nun sind es die kleinen Fortschritte, die ihn erfreuen. Alle haben Spaß an der Mannschaft und wie sie spielt: »mit höchstem Engagement und größter Leidenschaft.«
Von Italien trennen sie auch nicht mehr Welten wie noch beim bitteren 1:4 vor wenigen Monaten, sondern nur die Erfahrung bringenden Jahre. Und dieses von Metzelder erwähnte Detail: »Wie sie das Spiel entschieden haben, ist vielleicht der eine geniale Moment, den man braucht. So ein völliges Überding.«

Artikel vom 06.07.2006