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Abba jut warnse doch
Dicht
am
DFB

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Nach dem Dunkel der Dortmunder Nacht ist die Sonne doch wieder aufgegangen am anderen Morgen. Auch in Berlin, und fast strahlt der Himmel so blau wie das Trikot der Italiener. Der Zug rollt ein. Spandau, Zoo, Hauptbahnhof. Aus dem Fenster kann man sehen, dass die Hauptstadt weiter Flagge zeigt. Schwarz-Rot-Gold baumelt vom Balkon. Auch die Autofahrer sind noch mit Fahne unterwegs. Na ja, einige wenigstens. Nur gehupt wird jetzt nicht mehr.
Ein richtiger Fußballkater sieht anders aus; dieser ist ganz normal. An der Bushalte sind die Wartenden ins Gespräch vertieft. Die Fetzen, die herüberdringen, zeugen nicht von Frust, sondern vom Alltag: Oma ist krank, und ach: war schade gestern, nicht? Abba jut warnse doch.
Natürlich gibt es in der Hauptstadt auch ein Zentrum der Verzagten. Es liegt gleich hinter den Mauern des Schlosshotels Grunewald. Die Spieler waren am Morgen schon in der Fitnessbude. Sie sind dort unter sich geblieben, und deswegen ist es nur eine Vermutung, dass ihre Augen noch verquollen aussahen. Erst um fünf in der Früh sollen die Geschlagenen ihre Gemächer aufgesucht haben. Und wenn ein erfahrener Schlummerer gar nicht weiß, was es heißt, um den Schlaf gebracht zu werden, dann muss er sich nur bei jemandem erkundigen, der Fußballprofi ist und als solcher das Erlebnis eines WM-Dahinscheidens in fast letzter Halbfinalminute erlebt hat.
Die betrüblichen Ereignisse der 119. Minute werden aber mit der Zeit auch von den Betroffenen verkraftet. Überall wird ihnen auf die Schulter geklopft. Im elektronischen DFB-Briefkasten stapelten sich allein in den ersten zwölf Stunden nach der Verbannung aus dem Endspiel 2100 Mails aus vier Kontinenten und 16 Ländern. Chinesen und Vietnamesen haben zur guten WM-Vorstellung gratuliert, sogar Holländer beteiligten sich an der Aufbauhilfe, was dem höchstmöglich anzunehmenden Kompliment entspricht. Persönlich brachten Bundespräsident und Kanzlerin ihren Beifall vorbei. Also Kopf hoch, Männer: Das war schon alles wunderbar so.
Wenn sie jetzt auf diesem Weg weitermachen, ist es noch besser. Nur nicht in alte Rumpelzeiten zurückzufallen. Dann hätte ja alles nichts genützt.

Artikel vom 06.07.2006