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Wohin führt
Ihr Weg,
Herr Klinsmann?

Alles wartet auf die Entscheidung des Bundestrainers

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Berlin (WB). Für die deutsche Mannschaft endet die WM morgen mit dem Spiel um Platz 3. Und dann? Zuerst bewegt die K-Frage. Was beeinflusst die Entscheidung des Bundestrainers, und wie erging es ihm in den vergangenen Monaten?

Was macht Jürgen Klinsmann?Das Halbfinale verlor Deutschland am amerikanischen Unabhängigkeitstag. Der 4. Juli ist für den Bundestrainer daher aus doppeltem Grund ein Datum, über seine Zukunft nachzudenken. Klinsmann hat gezittert, gefiebert, gelitten. Dünn ist er geworden, und von »Grinsi-Klinsi« war auch nicht mehr so viel zu sehen. Ob er sich diesen Stress weiter aufbürdet oder nicht doch besser gegen das Leben nach Californian Style zurücktauscht, entscheidet er beim Familienurlaub in Italien. DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder wies vorsorglich daraufhin, dass Klinsmann auf »seine Freiheiten in Amerika nicht verzichten« wird. Eine neue Wohnort-Debatte anzuzetteln, lohnt nicht.

Wie sehr traf ihn die Kritik?Klinsmann glaubt, dass bestimmte Kreise nach dem 1:4 gegen Italien in Florenz versucht haben, ihn noch vor der WM abzusägen. Seine bittere Abrechnung mit den Boulevard-Blättern präsentierte er ein Länderspiel später, als ein 4:1 gegen die USA in Dortmund die Stimmung wieder zu seinen Gunsten umschlagen ließ. »Mit Kritik muss man leben, das ist im Fußball so«, hat der Bundestrainer während der WM abgeschwächt. »Das störte uns nicht, weil wir immer wussten, was wir wollten und dieser Mannschaft vertraut haben.« Trotzdem ist Klinsmann klar, wie schnell sich auch in Deutschland die Fußballwinde drehen können. Er hat es bereits am eigenen Leib erfahren. Und es hat ihn verletzt.

Wie ist das Verhältnis zum DFB?Verbandschef Theo Zwanziger steht fest an Klinsmanns Seite, und auch sein DFB-Amtspartner Gerhard Mayer-Vorfelder will, dass er bleibt. Schatzmeister Schmidhuber hat wohlwollend in die Schatulle geschaut: »Wir können uns Klinsmann leisten.« So weit, so gut. Trotzdem wirken alte Spannungen nach. Was Klinsmann gar nicht riechen kann, ist Verbandsmief. Seinen noch vor dem Amtsantritt geäußerten Satz, »im Prinzip müsste man den ganzen Laden auseinandernehmen«, nahmen ihm einige im DFB übel.
Dass er sich einen Blankoscheck für sein komplettes Handeln ausstellen lassen wollte, auch. Der Bundestrainer wurde dafür bei der Besetzung des Sportdirektoren-Postens abgestraft: Klinsmanns Kandidat Bernhard Peters rasselte in der Präsidiumssitzung durch. Statt dessen gab es die konservative Lösung mit Sammer. Klinsmann hat das nicht vergessen.

Wie verhalten sich die Spieler?Das ganze Land rollt dem Bundestrainer den roten Teppich aus, allen voran die Nationalspieler. Aus der »Ü30« machen Bernd Schneider und Jens Lehmann ihre Entscheidung weiterzumachen auch davon abhängig, ob Klinsmann bleibt. »Die Spieler sind von seinen neuen Ansätzen und den Trainingsmethoden begeistert«, sagt der Torwart. »Die Enttäuschung wäre groß, wenn er aufhört.« Christoph Metzelder sieht im Trainer sogar einen Visionär: »Manchmal hatte ich den Eindruck, dass er mehr an uns geglaubt hat als wir selbst. Da war er der Zeit ganz einfach voraus.« Die Spieler wollen aber keinen Einfluss auf ihn nehmen. »Wir fordern nichts«, meint Lehmann. »Das käme bei ihm auch nur falsch an.«

»Mensch, Klinsmann« -weiches Herz oder harter Hund?Als das Halbfinale verloren war, wartete Jürgen Klinsmann, bis auch der letzte deutsche Spieler in der Kabine war. Er tröstete jeden und ging als letzter. Der Bundestrainer weiß natürlich noch aus seiner eigenen aktiven Zeit, wie die Spieler ticken, und die wiederum leisten einem Coach eher Folge, wenn sie sicher sein können, dass er weiß, wovon er redet.
Klinsmann ist zielstrebig, anspruchsvoll, auf Erfolg versessen und gibt sich ungern mit dem Zweitbesten zufrieden. Wer den Teamgeist torpediert, hat schlechte Karten. Äußere Einflüsse, die stören könnten, minimiert er. So soll ein Grund für die Ausbootung des Schalkers Kevin Kuranyi gewesen sein, dass sein Umfeld als schwer einschätzbar gilt. Klinsmann kippte auch Kahn, kanzelte Ballack ab, und man sollte es nicht darauf anlegen, ihm an die Karre zu fahren. Er kann sehr smart sein, aber auch hart handeln.
Ein weiches Herz hat er besonders in privaten Dingen. Der wahre Grund für das äußerst scharf kritisierte Fernbleiben beim WM-Workshop der Trainer war, dass dieses Treffen in die Zeit des ersten Todestages seines Vaters fiel und er seiner Mutter versprochen hatte, sie könne währenddessen nach Kalifornien kommen. Diese familiäre Angelegenheit wollte Klinsmann offenbar nicht nach außen tragen und steckte statt dessen lieber Prügel ein.

Schätzen ihn die Liga-Trainer?Wenn Teammanger Oliver Bierhoff der Bundesliga vorwirft, sich im Dornröschenschlaf zu befinden, oder wenn Klinsmann erzählt, dass die Fitnesswerte der Weltmeister von 1990 besser gewesen seien als die der Nationalspieler im Frühjahr, findet die Liga das nicht besonders lustig. Insofern besteht ein gespaltenes Verhältnis. Es wird nicht gern gesehen, dass Klinsmann und die Gruppe um ihn herum auf einmal zu Gurus erhoben werden, die alles besser können und alles besser wissen. Ihr angeblich neuer Stoff wurde zum Beispiel von Peter Neururer als alter Tobak zurückgewiesen. Bundestrainer-Assistent Joachim Löw empfahl aber, mal genau hinzuschauen, was in der Nationalauswahl anders gemacht wird und zum Aufschwung beitrug: »Da geht es doch nicht nur um irgendwelche Gummibänder. Da steckt eine Philosophie dahinter.«

Kann sich der Aufschwungfortsetzen?Die Weltmeisterschaft im eigenen Land war eine so mächtige Herausforderung für Klinsmann und die Nationalmannschaft, dass sich alle zusammen seit 50 Tagen auf einem unbeschreiblich hohen Motivationsniveau gehalten haben. Vom ersten Tag des Traininingslagers in Sardinien an war der Blick auf den Titel gerichtet. »Das hat uns unglaubliche Energie gegeben«, sagt Christoph Metzelder, und man müsse jetzt sehen, was passiert, nachdem »die Vision so ein bisschen weggebrochen ist.« Erfolg lasse sich sowieso nicht auf mehrere Jahre hochrechnen.
Der Dortmunder räumt auch ein, dass die individuelle Qualität einer Mannschaft wie Italien immer noch größer sei. »Die Italiener sind jetzt im Zenit. Vielleicht können wir 2008 oder 2010 mit unserer Mannschaft auch in diesen Bereich vorstoßen«, hofft DFB-Präsident Mayer-Vorfelder.

Was passiert, wenn . . .?»Jürgen Klinsmann hat Abhängigkeiten geschaffen. Das ist sein Dilemma«, sagt Jens Lehmann, der den Aufschwung der DFB-Auswahl mit der Methodik des Bundestrainers eng verknüpft sieht. Wer führt die Arbeit fort, wenn er abdankt? Joachim Löw werden wenig Chancen auf Beförderung eingeräumt; Favorit für den Notfall ist Sportdirektor Sammer.
Ein Trend ist bei Klinsmann nur schwer zu erkennen. Er spürt sicher eine moralische Verplichtung, (fast) alle fressen ihm nach Erreichen des Halbfinales aus der Hand. Trotzdem zögert der Bundestrainer. So, als verursache ihm irgendetwas doch besonders empfindliche Bauchschmerzen. Man kann nur abwarten, was er macht.

Artikel vom 07.07.2006