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Der Zauberer
findet Form
und Lachen

»Zizou« macht noch zwei Spiele

Von Oliver Kreth
Aerzen (WB). Schwöbber, München, Schwöbber, Berlin: So sehen Zinedine Zidanes letzte Dienstreisen aus. Mag bei den Fans weltweit die Trauer über den Abschied des großen Franzosen überwiegen - bei »Zizou« ist es die wiedergefundene Gelassenheit. Man hat zuletzt Ungewöhnliches beobachten können: Zizou hat gelächelt.

Davon überzeugten sich am Montag viele im Weserberglandstadion in Hameln beim dritten öffentlichen Training der Equipe Tricolore. Mal gehorchte der Ball dem Magier, mal machte das runde Leder, was es wollte. Doch hatte Zizou während der Vorrunde in solchen Situationen noch gegrummelt und mit Trinkflaschen geworfen, so machte sich diesmal ein breites Lächeln im Gesicht des Weltmeisters von 1998 breit. Selbst sein Trainer Raymond Domenech konnte sich auf der Tribüne ein kleines Schmunzeln über seinen Regisseur nicht verkneifen.
Die Franzosen sind eben mit sich im Reinen. Nach den traurigen Vorstellungen in der Vorrunde sind die Knockout-Spiele für »les vieux« (die Alten) eine Art Jungbrunnen. Vor allem »ZZ top« erlebte eine Renaissance.
Im Spiel gegen den Weltmeister zeigte der 34-Jährige in der Sportart des Mittelmaßes Momente der Magie. Seine Beine waren der Taktstock einer virtuosen Vorstellung. Nie stellte er sich gegen Brasilien in den Mittelpunkt, jede Drehung hatte ihren Sinn, diente dem steten Fluss des Balls, den Zidane immer dort haben will, wo es den Gegner am meisten schmerzt. Oft spielte er den einfachen Pass, ohne Schnörkel. Seine Zaubertricks zeigte er nur, wenn sie nötig waren. Dreimal hat er die Brasilianer (unter anderem Ronaldo) überlupft. Die Folge: Sie hatten bald keine Lust mehr, mit ihm zu spielen.
Dabei hatten sie versucht, ihn zu bekämpfen. Gilberto spielte in den ersten zehn Minuten Manndecker, aber das funktionierte nicht. Auch Juninho und Zé Roberto scheiterten, weil Zidane seine Position ständig veränderte. Mal rechts, mal links - der Rasen war ein Schachbrett für seine Rochaden.
Zidane spielte nicht hastig, sondern geduldig und wartete auf den magischen Moment. Und der kam. In der 57. Minute fand sein perfekt getimter Freistoß den rechten Fuß von Thierry Henry, der die Brasilianer ins Elend schoss.
Die Größten der Zunft zollten Zidanes Comeback höchstes Lob. »Er war der Zauberer des Spiels«, meinte Pelé. Kaiser Franz Beckenbauer huldigte dem Denkmal, das sich noch nicht vom Sockel stoßen ließ: »Es ist ewig schade, dass er aufhört. Ich hoffe, er überdenkt das noch mal.«
Der Präsident des französischen Verbandes (FFF), Jean-Pierre Escalettes, meinte: »Es wäre einem so großen Spieler wie Zidane nicht gerecht geworden, hätte er nach der schwachen Vorrunde abtreten müssen. Ein großer Spieler braucht einen großen Abgang.« Auch Brasiliens Trainer zog den Hut vor dem einem Jungbrunnen entsprungenen Oldie, der Carlos Alberto Parreiras Supertechniker zum Narren gehalten hatte: »Er ist eben ein ganz außergewöhnlicher Spieler.«
Das höchste Lob kommt von einem potentiellen Finalgegner: »Zinedine Zidane ist der größte Fußballer der letzten 20 Jahre«, huldigt Marcello Lippi dem scheidenden französischen Mittelfeldspieler. Und Italiens Nationaltrainer muss es wissen: Er war Zizous Coach bei Juventus Turin.
Einen großen Anteil an diesem Erfolg soll auch ein Gebäude haben. Im »Schlosshotel Münchhausen« im Aerzener Ortsteil Schwöbber wuchsen die kickenden Musketiere zu einer verschworenen Einheit zusammen. Rückkehrer und Abräumer Lilian Thuram: »Es ist ein perfekter Ort für ein perfektes Turnier. Hier können wir leben wie Gott in Frankreich.« Mit dem Rad fahren die Spieler über die sanften Hügel des Weserberglandes, die Gitanes schmeckt in dieser Luft nicht nur Zidane.
Große Gelassenheit vor dem großen Finale. Doch der Hunger ist noch da. Bei der Antwort auf die Frage, was heute (21 Uhr) gegen Portugal noch möglich sei, zögerte der Zauberer nur einen Moment. »Ich habe natürlich keine Lust, jetzt noch aus dem Turnier auszuscheiden. Es ist einfach zu schön und macht riesigen Spaß. Jetzt wollen wir auch Weltmeister werden«, sagte er mit seinem strahlendsten Lächeln.
Die Fans würden es diesem bescheidenen Mann gönnen. Auch in Deutschland. Oder gerade hier, wenn Zizou damit den Titelgewinn Italiens verhindern würde.

Artikel vom 05.07.2006