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Deutsche auf gepackten Koffern

Abschied aus der Bundesrepublik verläuft meist leise - Europa beliebt

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Sie sagen meist leise »Servus«. Deshalb weiß keiner ganz genau, wie viele Deutsche jedes Jahr ihrer alten Heimat den Rücken kehren und auswandern.
Familie Maaß wagt den Schritt ins Ausland und »wandert« nach Kanada aus. Gestern Abend machten die drei mit ihren zwei deutschen Schäferhunden den Auftakt zu einer Reportage-Reihe bei »kabel eins«. Der TV-Sender begleitet - immer donnerstags um 20.15 Uhr - Deutsche, die den Sprung über große Teiche wagen. Foto: kabel eins

Hinter 145 000 Bundesbürgern, die sich 2005 formgemäß abmeldeten und damit vom Statistischen Bundesamt registriert wurden, vermuten Experten in Wahrheit eine Viertelmillion. Umfragen lassen sich sogar auf mehr als eine halbe Million hochrechnen.
Schon die vorsichtig geschätzten 250 000 Abwanderer pro Kalenderjahr sind für Professor Klaus Bade alarmierend: »Wir befinden uns in einer migratorisch suizidalen Situation«. Der Wanderungs-experte und Historiker von der Uni Osnabrück will sagen: Auch wenn Auswanderung für die Betroffenen nicht Selbstmord sondern Neuanfang bedeutet, haben die Zurückgebliebenen das Nachsehen: »Es gelingt uns immer schlechter, jungen, fähigen Leuten hier in Deutschland eine Perspektive zu bieten.«
In Kombination mit der Zuwanderung vor allem gering Qualifizierter ist das Ergebnis für Volkswirte bereits eine schleichende Schwächung des Standorts D.
250000 Auswanderer bezogen auf 82 Millionen Wohnbevölkerung in Deutschland klingt für Laien wenig alarmierend. Nichtfachleute schreckte dagegen diese Woche eine Umfrage des Institutes Forsa auf: Fast die Hälfte der Deutschen denkt über das Thema Auswandern nach.
Passend zum Auftakt einer Themen-Serie beim Klein-Sender »Kabel eins« hatte Forsa 1005 (Noch-)Deutsche im Alter von 14 bis 49 Jahren befragt. 39,5 Prozent gaben an, sie spielten hin und wieder mit dem Gedanken, 7,6 machen sich »ernsthaft Gedanken« und 1,5 Prozent sagten: »Ich werde demnächst tatsächlich auswandern.« Das wären, bezogen auf die 38,5 Millionen in dieser leistungsstarken Bevölkerungsgruppe 566 500 auf gepackten Koffern.
Die Welt ist klein und der Exodus soll 48,9 Prozent der Auswanderer in spe ins meist gut bekannte Europa rundum führen. Die klassischen Zielgebiete Nordamerika und Australien/Neuseeland liegen mit 12,3 und 22,3 Prozent deutlich zurück. Noch weiter hinten rangieren Südamerika (6,9 Prozent), Asien (4,6) und Afrika (2,6).
Letztere Gruppe hat im Grunde nur ein Ziel: Die Republik Südafrika. »Wir registrieren seit Jahren steigende Anfragen gerade aus Deutschland«, berichtet Bellinda de Nation, Partnerin bei »migrationstation.co.za« in Pretoria. Die größte Anziehungskraft im modernen Traum von Afrika übt die Südspitze aus. In Kapstadt leben bereits 65 000 Deutsche ständig, weitere 50 000 haben Zugriff zu einem Zweitwohnsitz am Kap der Guten Hoffnung.

Artikel vom 07.07.2006