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Stasi-Zuträger im Bonner
Bundestag - 43 Namen

Druck auf die Birthler-Behörde zur Nennung wächst

Von Harald Rohde
Berlin (dpa). Bundestagspräsident Norbert Lammert und Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) erhalten in den nächsten Tagen Post aus der Berliner Birthler-Behörde.

Was ihnen die Bundesbeauftragte für die Unterlagen der DDR-Staatssicherheit, Marianne Birthler, mitzuteilen hat, wird sich wohl bis in die Formulierungen gleichen: Nach geltendem Recht dürfe sie die Namen von Stasi-registrierten Parlamentariern so lange nicht öffentlich nennen, bis diese als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) überführt sind.
Die »Zeit« hatte unlängst berichtet, dass die vor drei Jahren von den USA zurückgegebenen »Rosenholz«-Dateien der Stasi-Auslandsspionage die Namen von 43 Abgeordneten des 6. Deutschen Bundestages (1969-1972) enthalten. Damit sei die Stasi zur Zeit der Ostpolitik von Bundeskanzler Willy Brandt in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten gewesen.
Birthler wurde der Vorwurf gemacht, einen entsprechenden Bericht ihrer Forschungsgruppe »Rosenholz« seit geraumer Zeit zurückzuhalten und die Arbeitsgruppe aufgelöst zu haben. Die Bundesbeauftragte wies dies zwar umgehend zurück, auch gestern noch einmal, dennoch kam es zu unerwartet giftigen Angriffen. Sie gipfelten in einer Anmerkung des Leiters des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin, Prof. Manfred Wilke, er habe für Birthlers Vorgehen »keine andere persönliche Erklärung, als dass sie ihre Wiederwahl zur Bundesbeauftragten im Herbst 2005 nicht gefährden wollte«.
Der Berliner Historiker und Leiter der Gedenkstätte im früheren Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, verlangte, die Namen aller damaligen Bundestagsabgeordneten mit Stasi-Vermerk offen zu legen, auch wenn der Nachweis einer IM-Tätigkeit nicht immer zu führen sei.
Die Bundesbeauftragte dürfte dem kaum folgen. Der Rechtsstreit um die Veröffentlichung der Stasi-Akten über Alt-Kanzler Helmut Kohl (CDU) vor einigen Jahren hat die Behörde vorsichtig werden lassen. Denn seither ist gerichtlich klargestellt, dass Namen und Material von Betroffenen nur herausgegeben werden dürfen, wenn diese keine Einwände erheben. Betroffene - das sind Menschen, die ohne ihr Wissen von der Stasi »abgeschöpft« wurden.
Und zu den Betroffenen, sagt Birthler, gehörten wohl auch 38 der 43 Parlamentarier mit Stasi-Vermerk. Nach gegenwärtiger Forschungslage seien nur die drei Abgeordneten William Borm (FDP), Gerhard Flämig (SPD) und Julius Steiner (CDU) IM gewesen. Die Abgeordneten Leo Wagner (CSU) und Karl Wienand (SPD) seien erst Mitte der 1970er Jahre als IM erfasst worden. Diese fünf Namen sind seit vielen Jahren bekannt. Gewissheit über die anderen 38 Parlamentarier dürfte erst der Bericht bringen, den die Bundesbeauftragte nun für 2007 angekündigt hat.
Warum also die ganze Aufregung? Letztlich gehe es auch in dieser Debatte um die Zukunft der Birthler-Behörde, sagt Wilke. Die Behörde habe ihre politischen Aufgaben im deutschen Einigungsprozess 16 Jahre nach dem Ende der DDR erfüllt. Jetzt sei sie vor allem ein wichtiges zeithistorisches Archiv, zu dem die Forschung im Zuge der geplanten Novellierung des Stasiunterlagen-Gesetzes einen leichteren Zugang erhalten müsse.

Artikel vom 03.07.2006