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Lanze für die Frauen Bosniens

Ausgezeichneter Film »Esmas Geheimnis« ab Donnerstag in der Kamera

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Die Kamera fährt in Nahaufnahme über eine Gruppe eng aneinander gekauerter Frauen. Sie streift über Hände, Gesichter und Körper ganz normaler Frauen mittleren Alters. Doch normal ist nichts mehr im Leben jener Bosnierinnen, seit sie im Krieg von Serben vergewaltigt wurden.

Eine von ihnen ist Esma. Narben, wie sie sie von Folterriemen auf dem Rücken trägt, lasten auch auf ihrer Seele. Nicht nur, dass alltägliche Erlebnisse wie eine Fahrt im überfüllten Bus bei ihr Beklemmungen auslösen und schmerzliche Erinnerungen wachrufen. Esma hat auch ein Geheimnis, das sie vor der Welt und ihrer 12-jährigen Tochter Sara um jeden Preis bewahren möchte. Um ihre Tochter und sich selbst zu schützen, erzählt sie, Saras Vater sei ein gefallener Kriegsheld. In Wahrheit ist Sara das »Produkt« einer Vergewaltigung und Kind eines gehassten Tschetniks.
Als Esma 200 Euro für Saras Klassenfahrt aufbringen muss, beginnt das sorgsam aufgebaute Lügengebäude langsam zu bröckeln. Mit dem Nachweis, dass Saras Vater ein Kriegsheld war, würde sie eine Ermäßigung bekommen. Doch Esma schuftet und erniedrigt sich, um den Betrag komplett aufzubringen. Zum Entsetzen ihrer Tochter, die plötzlich Zweifel an der Identität ihres vermeindlichen Vaterhelden hegt und radikal nachbohrt. Die Wahrheit stürzt die Pubertierende selbst in eine Identitätskrise.
Den Blick, den die 1974 in Sarajevo geborene Nachwuchsregisseurin Jamila Zbanic in »Esmas Geheimnis« auf ihre Heimat wirft, ist schonungslos trist und traurig -ĂŠnicht nur wegen des Drecks und der Ruinen. Die Menschen leben ohne Perspektive auf eine bessere Zukunft. Gelegenheitsjobs bieten Esma, der ehemaligen Medizinstudentin, ein spärliches Auskommen. Und der Nachtclub-Besitzer, bei dem sie eine Stelle angenommen hat, um das Geld für die Klassenfahrt aufzubringen, ist ein zwielichtiger und launischer Unterweltpatriarch, von dessen Willkür Glück oder Unglück abhängen.
Gleichwohl enthält der auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnete Film auch Optimismus. Die Offenlegung eines Tabus wirkt wie eine Befreiung, die Traumaarbeit erst möglich macht. Zudem erzählt der Low-Budget-Film, der ohne Spezialeffekte und Stars auskommt, eine wunderbare, wenn auch komplizierte Liebesgeschichte zwischen Mutter und Tochter.
Und wie beiläufig zeichnet Jasmina Zbanic ein lebendiges Porträt ihrer Heimatstadt, zeigt die Wunden, die der Krieg an Menschen und Gebäuden hinterlassen hat, sowie die Widersprüchlichkeit, in welcher sich die Menschen zwischen tiefem religiösem Glauben und Illegalität, zwischen Liebe und Hass befinden.
Zugleich ist »Esmas Geheimnis«, der von Donnerstag an in der »Kamera« zu sehen ist, ein Film, der zeigt, dass Frauen auch mehr als zehn Jahre nach Kriegsende immer noch Hilfe benötigen: medizinische, therapeutische und finanzielle. Filmemacher wie Menschenrechtler hegen daher die Hoffnung, dass viele Menschen diesen Film sehen, damit das Schicksal der bosnischen Frauen nicht vergessen wird, sie vielmehr die Hilfe bekommen, die sie noch immer brauchen. (Siehe untenstehenden Bericht).

Artikel vom 03.07.2006