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Lippi will
immer das
Maximale

Italiens Trainer geht nach der WM

Dortmund (WB). Seine Yacht ankert weiter im Hafen von Viareggio. Mindestens noch bis zum Wochenende. Denn so lange ist ihr Besitzer auf jeden Fall in Deutschland. Frühestens am Sonntag, nach dem Spiel um Platz drei, könnte er an Bord gehen. Doch »Kapitän« Marcello Lippi (58) würde die Bootsfahrt gern einige Tage aufschieben.

Sein Fahrplan: Sonntag Finale in Berlin, Montag Ehrung in Rom - erst dann geht es in den Urlaub, hinaus aufs Meer. Denn vorher möchte der Trainer seine Mannschaft zum Triumph führen. Italien Weltmeister 2006, das wäre eine Antwort auf die vielen offenen Fragen der skandalösen Fußball-Vergangenheit in diesem Land.
Star-Trainer Lippi schien in die Manipulationen verstrickt zu sein, erst nach einer Anhörung beim Staatsanwalt in Rom gab es grünes Licht für die WM. »Wenn wir vorzeitig ausscheiden«, hatte der Coach angekündigt, »bin ich sofort auf meinem Boot und für niemanden mehr zu erreichen.«
Jetzt steht Italien gegen Deutschland im Halbfinale. Zur neuen Entwicklung sagte er: »Natürlich ist Frings ein wichtiger Spieler. Aber der Siegeswille der Deutschen wird das mehr als kompensieren. Eine Mannschaft, die im Halbfinale steht, hat Klasse und System und ist nicht von einzelnen Spielern abhängig.« Lippi ist ein gefragter Mann und gibt gern Auskunft. Mit Monologen über den Charakter seiner Auserwählten. Natürlich alles prima Kerle, keine Schieber oder Betrüger. Und er selbst? Auch sauber, klar. Die Weste ist weiß, so weiß wie seine Haare. Behauptet Lippi. Basta. Genug vom Skandal.
Der holt die Nationalelf in der kommenden Woche sowieso wieder ein. Nach dem Finale sollen erste Urteile gesprochen werden. Aber noch heißt es ja nicht Arrivederci, noch ist Italien im Geschäft. Lippi genießt die WM-Zeit im hochsommerlichen Deutschland, bevor es wieder in die »kalte« Heimat geht: »Ich habe schon viel im Fußball erlebt. Dieses Turnier ist ein wundervolles Sport-Ereignis. Mein Kompliment an die deutschen Ausrichter: Alles läuft wunderbar. Ich gebe zu: Ich habe große Gefühle, wenn ich in den ausverkauften und so stimmungsvollen Stadien stehe, wenn meine Mannschaft dort mitspielen darf.«
Und dass ausgerechnet seine Italiener, denen man ja immer kühl kalkulierten Ergebnis-Fußball unterste llt, im Viertelfinale mit dem 3:0 gegen die Ukraine den höchsten Sieg erzielten, freut Lippi selbstverständlich ganz besonders: »Das gibt uns noch mehr Selbstvertrauen. Wir sind jetzt so nah dran, wir wollen und können diese WM wirklich gewinnen.«
Wenn es tatsächlich so weit kommen würde, die Freudensprünge, die Kollege und Rivale Jürgen Klinsmann aufführt, wenn seine Spieler getroffen haben, die wird man von Lippi nie sehen. Sicher, er jubelt auch: eine Umarmung, eine gereckte Faust, aber das war's schon. Dann konzentriert sich der Fußball-Professor sofort wieder auf das Spiel. Stehend. Arme vor der Brust verschränkt. Strenge Blicke, klare Anweisungen. Lippi, der Feldherr.
Mit Juventus Turin, die jetzt am dicksten im Skandal stecken, hat er die meisten Rasen-Schlachten geschlagen. Acht Jahre war er dort Trainer, holte fünf Meistertitel und gewann 1996 die Champions League. Effizienz-Fußball nannte er den defensiven Juve-Stil. So lässt Lippi auch die Nationalmannschaft spielen, die er seit 2004 betreut und souverän durch die Qualifikation führte.
Ein Coach, der sein Amt nicht als Job, sondern als große Herausforderung interpretiert: »Wir sind nicht für die Normalität da, wir wir wollen immer das Absolute, das Maximale.« Optimal ist es bisher gelaufen. Der Titel wäre die Krönung für Lippi. Denn danach ist Schluss. Das hat er schon vor der WM erklärt. Und dann? Dann wird der »Kapitän« im Hafen von Viareggio den Anker lichten.

Artikel vom 04.07.2006