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Leichenwagen,
Brautkutsche
und Steinbruch

Brackweder Rohstoff Kalk begehrt

Von Ulrich Hohenhoff
Brackwede (WB). Gleich drei Bodenschätze bestimmten die industrielle Entwicklung Brackwedes entscheidend mit: Ton, Kalk und Sand. Begehrte Rohstoffe, die so manchem Grundeigentümer unverhofft ein schönes Zubrot bescherten, andere zum Aufbau eines eigenen Betriebes animierten und wieder andere in den Bielefelder Süden lockten, um mit eigener Produktion an der Verarbeitung und Vermarktung teilzuhaben. Die heutige Folge der Serie »Anno dazumal« beschäftigt sich mit der Ausbeutung des Rohstoffes Kalk, der zeitweilig einen regelrechten »Run« auslöste.

Während vom Ton-, Mergel- und Sandabbau so gut wie nichts mehr zu sehen ist, hat die Kalkindustrie weithin sichtbare Narben in der Landschaft hinterlassen. Zum Beispiel an der »Fahnenspitze« in Brackwede, deren hohler Zahn später als Müllkippe diente, inzwischen verfüllt und neu begrünt ist. Sichtbar sind die Abbrüche teilweise noch entlang des Bielefelder Passes. An der heutigen Artur-Ladebeck-Straße etwa, dort wo das Bauunternehmen Quakernack residiert.
Dieses felsige Grundstück erwarb einst der Spediteur Hans Lohmann. Vormals ansässig an der Kaiserstraße / Ecke Hexenbrink, verlegte er seinen Betrieb, der mit Leichenwagengespannen, Hochzeitskutschen und Frachtfahrten gutes Geld verdiente, auf das neue Grundstück und erschloss den Steinbruch. Enkel Hans Lohmann (65), der sich mit der Chronik seiner Familie beschäftigt hat, förderte noch einige alte Urkunden und Fotos aus der Blütezeit des Unternehmens ans Licht, etwa vom 25-jährigen Firmenjubiläum und dem 50. Geburtstag. Aus dem kleinen Speditionsunternehmen war ein stattlicher Betrieb geworden, der sich vorrangig mit Kalkabbau und dem Handel mit dem Rohstoff beschäftigte.
Hermann Lohmann versorgte die umliegenden Kalkbrennereien, die den Weißfein-Kalk verarbeiteten, und belieferte Bauern. Die setzten den gemahlenen Kalk als Düngemittel ein. Ende 1937 verkaufte Hermann Lohmann den Betrieb, der aber noch bis Ende des Zweiten Weltkrieges weiter betrieben wurde, vermutlich von einem Heinrich Eikelmann. Genauen Aufschluss lassen die Urkunden nicht zu.
Die Anfänge der Kalkindustrie reichen bis Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. In ihrem Buch zum 850-jährigen Bestehen Brackwedes haben Karl Beckmann und Rolf Künnemeyer die Stationen der Ziegel- und Kalkindustrie im Amt Brackwede aufgearbeitet. Bereits 1848 ist von einer Ziegelei die Rede, 1852 vom Kalkofen des »Kolon Bastert«, im selben Jahr vom Ziegelofen des »Kolons Strüwe«, 1853 vom Kalkofen des Wirtes Strothmann, 1854 von den Kalköfen des Kalkbrenners Hindermann und des Zimmermeisters Rahe. Und so geht es Jahr für Jahr weiter bis zum Ringkalkofen »des Heinrich Niewöhner an der Schulstraße«. Die Konzessionsgesuche und Konzessionen nahmen kein Ende, die Regierung in Minden und der Amtmann in Brackwede konzessionierten allein in Brackwede-Brock 16 Betriebe.
»Die Baustoffe werden die Hersteller am Ort, wohl auch in Bielefeld abgesetzt haben, wo nicht nur viel, sondern vor allem in Stein gebaut wurde«, heißt es in den »Brackweder Heimatblättern«. Zwischen »Astastraße« und der Straße »Am Wittenbrink« seien dem Höhenzug des Teutoburger Waldes in den letzten 150 Jahren tiefe Wunden geschlagen worden. Und weiter heißt es: Dreisberg, Lönkertberg und Siegenegge mit ihrem Kalk der oberen Kreide, hauptsächlich des Turon (CO2) lieferten fast ein Jahrhundert lang des Material, das in den Kalköfen zu Industriekalk gebrannt wurde.« Genaue Zahlen über die Produktion gibt es nicht. Nur so viel, ». . .dass 1871 von der Gesamtproduktion an Kalk, welche in Brackwede in ausgedehntem Maße betrieben wird, nämlich reichlich 120 000 Zentner, vom Brackweder Bahnhof aus 31 079 Zentner versandt wurden«.
Die Kalkindustrie brachte Arbeit und Brot, zum anderen aber auch Verdruss. Denn die vielen (zum Teil auch schwarz gebauten) Kalköfen verbreiteten Rauch und Ruß, verschmutzten die Luft und belästigten die Bevölkerung. Der Brackweder Amtmann Zittlow bestätigte, »dass der Rauch zeitweise auch für den Verkehr auf der unmittelbar vorbeiführenden Bielefeld-Gütersloher Chaussee lästig ist«. 1898 gingen verschiedene Kalkbrennereien an die »Gewerkschaft Mühlenberg Vereinigte Bielefelder Kalkwerke«. Die ging allerdings 1901 in Konkurs.
Die »Kalkwerke Bielefeld-Brackwede GmbH« als Nachfolgerin bestand bis 1941. Dass die Brackweder Kalkindustrie die Zeiten nicht überdauert hat, wird auf die Konzentration der Kalk-und Zementindustrie um Neubeckum und Künsebeck zurückgeführt.
In der nächsten »Anno dazumal«-Folge geht es um die Ton-, Mergel- und Ziegelei-Industrie.

Artikel vom 03.07.2006