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Zwei Schritte noch zum Gipfel

Leichtes Reden nach schwerem Spiel - Ballack und Klose rechtzeitig fit

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Berlin (WB). Vielleicht muss man es sich so vorstellen: Oben am Gipfelkreuz wartet ein wunderbarer Ausblick. Die Luft wird zwar immer dünner, aber jetzt sind es nur noch zwei Serpentinen. Jeder Schritt fällt schwer. Umkehren? Kommt überhaupt nicht in Frage.

Ungefähr an diesem Punkt ist die deutsche Nationalmannschaft nun angelangt, die bald beste Sicht auf die Fußballwelt haben will. Morgen kann sie in Dortmund gegen Italien den vorletzten Schritt zum Gipfel tun.
Es ist schon ziemlich verrückt: Ausgerechnet nach einer Abfuhr gegen diese Mannschaft - nach dem 1:4 von Florenz - war mit breiter Mehrheit erklärt worden, wie chancenlos die Deutschen bei ihrer eigenen Weltmeisterschaft sein würden. Vorrunde: packen sie locker. Achtelfinale: könnte bereits knapp werden. Viertelfinale: Alles aussteigen, Endstation, der WM-Zug hält hier. Und nun haben sie Argentinien aus elf Metern aus dem Turnier gekegelt.
Eine klare Kiste, wenn man den Spielern glauben darf. »Ich wusste immer, dass wir es schaffen«, sagte Torsten Frings. Arne Friedrich beteuerte: »Mein persönliches Gefühl war sehr gut.« Aber in diesem Fall wäre es so, als würde ein Schüler bei seiner Mathe-Klausur zehn Minuten vor Abgabe noch über den kniffligsten Aufgaben brüten und trotzdem davon ausgehen, eine 1 zu schreiben.
Geht das? Eigentlich nicht. Es sei denn, es geht gerade alles. Dann flitzt der Ball eben auch noch in der 80. Minute ins Netz, hineingeköpft von Miroslav Klose. Weil sich am Ende alle Bedenken in Berliner Luft auflösten, hatten die Gewinner nach dem schweren Spiel leichtes Reden. Im Überschwang der Gefühle kam es auch zur einen oder anderen Bewusstseinsstörung: »Die Argentinier konnten sich doch nur noch durch Befreiungsschläge retten«, behauptete Frings, der den Ex-Weltmeister im Zustand höchster Not sah. In Wahrheit versetzte ihn die DFB-Elf nur selten in Schrecken, blieb aber hartnäckig am Ball.
Weil auch die Gauchos ihrem Gegner nicht viel vorgaukeln konnten, musste die Sache nach 120 Minuten auf den Punkt gebracht werden. Friedrich wurde nicht zum Schießen eingeteilt, »und für einen, der zusieht, ist es auch nicht ganz einfach«, aber die große Flatter überkam den Berliner zu keiner Zeit: »Ich wusste, wir haben sehr gute Schützen. Und der Jens ist eben ein Super-Torwart.«
Alles nicht mehr ganz normal, sondern einfach super. Super plus, sozusagen. »Was die Mannschaft bis jetzt erreicht hat, ist einmalig«, sagte Teammanager Oliver Bierhoff und frohlockte: »Die Welt hat wieder Angst vor Deutschland.« Glücklicherweise meinte er damit nur den Fußball. Tatsächlich knickten auch die Argentinier ein. Sie spürten beim Elferraus plötzlich Wackelpudding in den Beinen.
Natürlich passte die Eiseskälte, mit der die Exekutierer die Südamerikaner zum Schafott führten, bestens ins Bild. Bierhoff: »Wir haben die Nerven. Das ist kein Zufall, dass wir auch auf diese Weise unsere Spiele gewinnen können.« Assistenztrainer Joachim Löw erhob die Partie sogar zu »unserem kleinen Meisterwerk«. Dazu gab es in der Kabine Tanz und Gesang. Augenzeuge Bierhoff berichtete, dass die Mannschaft erstmals nach einem Auftritt bei dieser WM entspannt, locker und glücklich gewesen sei.
Die Leidenden aber mussten umsorgt werden. Miroslav Klose und Michael Ballack litten unter Wadenkrämpfen. Beide sind jedoch morgen im Halbfinale fest eingeplant. Das Pflegepersonal ist gefordert, trainiert wird ab jetzt nur noch in kleiner Dosierung. »Ich habe keine Bedenken. Wir werden gegen Italien fit sein«, hat Friedrich, versprochen, notfalls auch für die lange Strecke bereit: »Wenn wir wieder über 120 Minuten gehen müssen, ist das kein Problem.«
Was tut man nicht alles, um Weltmeister zu werden! Allerdings gibt es immer noch Menschen, denen das schnurz ist. Einem gewissen Gabriel Heinze etwa, der von seinem Recht Gebrauch machte, als argentinischer Viertelfinalteilnehmer zu bestimmten Dingen die Aussage zu verweigern: »Fragen Sie mich jetzt bloß nicht, ob Deutschland Weltmeister wird. Das interessiert mich nicht.«

Artikel vom 03.07.2006