03.07.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Brasiliens Stars glänzen
nur auf der Flucht

Parreira fürchtet um seinen Job, Ronaldo macht weiter

Frankfurt/Main (dpa). So kläglich die Stars aus Brasilien auf dem Rasen auseinandergefallen waren, so schnell verstreuten sich die entthronten Weltmeister in alle Winde.

Wenige Stunden nach dem 0:1 (0:0) gegen Frankreich hielt Ronaldinho, Ronaldo & Co. nichts mehr in Deutschland. Für Carlos Alberto Parreira war es möglicherweise seine letzte Dienstreise mit der Seleção, denn noch nie hat ein Trainer seines Landes nach einer verpatzten WM weitermachen dürfen. »Ich weiß nicht, ob ich den Vertrag verlängere«, sagte der 63-Jährige. »Die Entscheidung wird nach der Heimkehr fallen.«
Ronaldinho und Adriano verließen gestern um 8.15 Uhr das Frankfurter Mannschaftsquartier. »Jetzt ist nicht der richtige Moment, um Reden zu schwingen. Das Leben muss weitergehen«, sagte Ronaldinho und verbarg seine traurigen Augen hinter einer Sonnenbrille. Kurz nach 11 Uhr verließ auch Ronaldo das Hotel durch einen Nebenausgang und stieg wortlos in ein Taxi. »Niemand von uns war darauf vorbereitet, jetzt schon gehen zu müssen. Aber wir müssen dem in die Augen sehen«, sagte Parreira, der seinem WM-Triumph von 1994 keinen weiteren hinzufügen konnte. Möglicher Nachfolgekandidat ist Vanderlei Luxemburgo, der frühere Coach von Real Madrid.
Vor 48 000 Zuschauern hatten sich die Südamerikaner vor allem von Zinédine Zidane entzaubern lassen. Selbst nach Thierry Henrys Tor wirkten sie wie paralysiert. Entgegen allen Beteuerungen im Vorfeld schien das Trauma der erlittenen Endspielniederlage von 1998 gegen die Grande Nation nicht überwunden. Für die Generation der jungen Brasilianer ist das ein ganz neues Gefühl: Die Ballzauberer waren zuletzt 1990 beim 0:1 im Achtelfinale gegen Argentinien frühzeitig gescheitert, seit 1994 standen sie in jedem Endspiel.
Ronaldo zeigte sich immerhin als fairer Verlierer. »Ich bin sehr traurig und zutiefst enttäuscht über diese Niederlage. Die Franzosen haben einen phantastischen Fußball gezeigt, einen intelligenten Fußball, der dem unseren überlegen war«, sagte der WM-Rekordtorschütze (15 Treffer), der sich nach dem Abpfiff als erster den Fragen stellte. 2010 in Südafrika will Ronaldo einen weiteren Anlauf wagen. »Es gibt überhaupt keinen Grund aufzuhören und nicht mehr für die Seleção zu spielen«, sagte der 29-Jährige von Real Madrid. »Wenn sie mich wollen, stehe ich ihnen weiter zur Verfügung.«
»Wir müssen uns für die Zukunft neu orientieren«, forderte Parreira, auch wenn er in den Planungen möglicherweise keine Rolle mehr spielt. Der »Professor« hat zu viele Fehler gemacht: In der Vorbereitung in Weggis/Schweiz setzte er zu sehr auf Regeneration, statt seine Spieler auf Hochtouren zu bringen. Ausgerechnet für die Offensive mit den hochgelobten Kaká, Ronaldinho, Ronaldo, Adriano und Robinho fand er nie eine Taktik, mit der die »Abteilung Attacke« ihre Stärken voll ausspielen konnte. Dazu setzte Parreira auf Routiniers wie Cafú, Emerson und Roberto Carlos - die aber haben den Zenit ihrer Laufbahn längst überschritten.

Artikel vom 03.07.2006