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Teamgeist ist ideell und materiell

»Elf Freunde müsst ihr sein« gilt nicht mehr - jetzt sind es 23 Gleichwertige


Dortmund (WB/klü). Sie herzten ihn, sie knutschten ihn, sie verpassten ihm vor lauter Begeisterung sogar ein paar leichte Kopfnüsse. Ronaldo hatte gegen Japan gerade sein erstes Tor bei dieser WM erzielt - und die Kollegen fielen über ihn her. Der weltmeisterliche Freudenhaufen der Brasilianer sollte allen im Stadion und vor den Bildschirmen demonstrieren: Seht her, wir sind ein echtes Team, wir feiern gemeinsam, wir halten zusammen. Ganz fest.
Elf Freunde müsst ihr sein? Sammy Drechsel hat in den fünfziger Jahren ein Ball-Buch unter diesem Titel verfasst. Für die WM 2006 gilt das längst nicht mehr. Denn wenn die Trainer wirklich die Wahrheit sagen, dann stehen in mindestens sieben Mannschaften, die jetzt das Viertelfinale erreicht haben, nicht nur elf, sondern gleich 23 Freunde.
Carlos Alberto Parreira, der Chef auf Brasiliens Bank, er stellt fest: »Weltmeister wird man nicht mit elf Spielern, es gehören alle dazu.« Auch in seinem Ensemble, durchsetzt mit Weltstars, wird er beschworen - der »Teamgeist«, der überall herumschweben soll bei diesem Turnier, den aber noch niemand gesehen hat. Die Deutschen, sie rufen besonders laut nach ihm. Zum Abschluss der Übungseinheiten muss ein Spieler in die Runde brüllen: »Wir sind ein . . .« - und dann schreien alle: »Team«.
Vorgeführt wird die Einheit auch gern durch den ganz engen Schulterschluss. Arm in Arm stehen sie auf dem Platz, wenn ihre Hymnen gespielt werden. Bevor es dann richtig los geht, bilden viele noch einmal einen Kreis. Geschlossen ins Spiel, zusammen ans große Ziel.
Argentiniens Trainer José Pekerman spricht von 23 gleichwertigen Kickern, Portugals Coach Luiz Felipe Scolari macht die Sperre von Deco angeblich überhaupt nichts aus: »Ich habe starke Ersatzleute.« Die Italiener schweißt der Fußball-Skandal in der Heimat zusammen, die Engländer wollen Trainer Sven-Göran Eriksson ein weltmeisterliches Abschieds-Geschenk machen. Das Kollektiv aus der Ukraine verbindet vor allem die Sieg-Prämie. 800 000 Euro winken jedem Spieler.
Der Teamgeist - nicht immer ideell, sondern auch mal materiell. Es gibt allerdings auch einen Viertelfinalisten, in dessen Team sich die meisten auf den Geist gehen. Frankreich vereint nur der Erfolg. Ansonsten ist das Klima nicht prima. Alte gegen junge Spieler - und fast alle gegen Trainer Raymond Domenech.

Artikel vom 30.06.2006