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Die erste Zeit zu dritt
Nicht alles ist
rosarot und
himmelblau


Von Ellen Grundmann
Endlich ist er da, der ungeduldig erwartete Nachwuchs. In Gedanken hatten sich die werdenden Eltern immer wieder ausgemalt, wie es sein würde, das Leben zu dritt. Da wurde geplant und vorbereitet, was die Hormone hergaben.
Ist der neue Erdenbürger dann angekommen, landen einige Eltern jedoch unsanft auf dem Boden der Realität. Nichts ist mehr, wie es war, der Alltag scheint vollständig umgekrempelt. In das Rosarot und Himmelblau kann sich ein unheilvoller Grauton mischen.
Natürlich bleibe ich zu Hause! Der befristete Ausstieg aus dem Beruf scheint verlockend. Doch viele Frauen, und es betrifft in erster Linie immer noch das weibliche Geschlecht, merken schon bald, wie sehr ihnen der Beruf, die damit einhergehende Anerkennung und nicht zuletzt die finanzielle Unabhängigkeit fehlen. Da kann es passieren, dass man dem Partner, der augenscheinlich auf den ersten Blick weniger aufgegeben hat, Unrecht tut.
Zum Glück gibt es Beratungsstellen, die dem Paar in dieser Krise beistehen und dazu raten, »Verdienstkonten« einzurichten. Wer macht wann was und verzichtet wie oft worauf? So nimmt man ungerechten Vorwürfen rechtzeitig den Wind aus den Segeln.
Besonders schwer fällt Spätgebärenden, die sich auf der Karriereleiter Sprosse um Sprosse nach oben gearbeitet haben, eine Umstellung. Keine einfache Situation, wenn der Job von heute auf morgen wegfällt und Windelwechseln und Haushaltsführung diesen Patz füllen sollen. Streben sie gar danach, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren, wird hier und da die Nase gerümpft und Unverständnis geäußert. Sie kümmert sich nicht selbstlos um den Nachwuchs? Typisch, karrieresüchtige Rabenmutter!
Ein Kind spürt sicherlich, ob Mama und Papa mit ihrem Leben glücklich sind. Wen es ausfüllt, sich rund um die Uhr mit seinem Nachwuchs zu beschäftigen, soll das tun. Aber auch andere Lebenspläne haben sehr wohl ihre Berechtigung.
Die Gesellschaft stellt hohe Ansprüche an die Kindererziehung. Unbestritten wollen Eltern das Beste für ihre Kinder, und das ist auch gut so. Aber muss wirklich alles so perfekt sein, oder kann aus dem Nachwuchs auch etwas werden, wenn er nicht bereits im Kindergarten eine Fremdsprache büffeln muss? Astrid Holz von Pro Familia in Bielefeld nennt es gar einen Mutterwahn, der viele Frauen antreibt und ihnen das Leben schwer macht.
Es scheint an der Zeit, in vielen Punkten ein gesundes mittleres Maß anzupeilen. Die Super-Nanny macht's vor. Es kann einem Kind nicht schaden, wenn es nicht immer und überall die erste Geige spielt und sich die Aufmerksamkeit nicht ständig auf den süßen Fratz konzentriert. Vielleicht haben Paare so eine reelle Chance, nicht zu Versorgergemeinschaften zu mutieren, sondern das zu bleiben, was sie waren: Lebensgemeinschaften, deren Glück letztendlich mit einem Kind gekrönt wurde.

Artikel vom 14.07.2006