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Bande zwingt Mann zu Überfall

26-Jähriger raubt aus Angst vor Russlanddeutschen Tankstelle aus

Von Christian Althoff
Detmold (WB). Das Strafmaß fiel vergleichsweise milde aus, weil der Mann zu dem Verbrechen gezwungen worden war: Zwei Jahre Haft auf Bewährung lautete gestern das Urteil des Landgerichts Detmold gegen einen Tankstellenräuber.

Acht Russlanddeutsche aus dem Kreis Lippe sitzen derzeit in Untersuchungshaft. Sie sollen einer Bande angehören, die Landsleute unter Androhung massiver Gewalt ausgebeutet hat. So sollen einige Opfer genötigt worden sein, Bankkredite aufzunehmen und das Geld an die Täter auszuzahlen. Auch Schutzgeld soll bei einem Bielefelder Wirt erpresst worden sein. Mindestens zwei Opfer sind außerdem zu Überfällen gezwungen worden - wie Viktor W. (26) aus Bad Salzuflen, der gestern vor Gericht stand.
Der Heroinsüchtige war im März von Bandenmitgliedern verdächtigt worden, 700 Euro aus einem Drogengeschäft unterschlagen zu haben. »Obwohl das nicht stimmte, holten mich nachts fünf Männer aus dem Bett. Sie fuhren mit mir auf ein Feld und schlugen mich zusammen. Sie sagten, ich solle das Geld auftreiben - wenn nötig durch einen Überfall.« Einer der Männer habe ihm später ein Messer an den Hals gehalten und ihn zu einer Jet-Tankstelle begleitet: »Dort drückte er mir einen Revolver in die Hand und sagte: Los, geh' rein!«
Unmaskiert betrat Viktor W. die Tankstelle - und erschrak: Er kannte den Mann hinter der Kasse aus der Schule. »Ich begrüßte ihn mit Handschlag, und wir unterhielten uns eine halbe Stunde. Dann habe ich die Pistole gezogen und gesagt: Ich muss dich leider überfallen. Draußen steht jemand, der mich dazu zwingt!«
Den ungewöhlichen Ablauf des Raubes dokumentierte die Überwachungskamera, deren Bilder der Vorsitzende Richter Michael Reineke gestern im Gerichtssaal zeigen ließ. Viktor W. war damals mit 700 Euro entkommen und wenig später gefasst worden. Er packte bei der Kripo aus und ließ die Bande auffliegen. »Das war mutig«, lobte sein Anwalt Andreas Chlosta aus Bielefeld. Als »Verräter« sei sein Mandant in der Justizvollzugsanstalt Detmold bereits zusammengeschlagen worden. »Außerdem hat ein Mithäftling versucht, mich mit einer Rasierklinge zu verletzen«, sagte Viktor W. und zeigte dem Richter Spuren am rechten Arm.
Strafverteidiger Andreas Chlosta forderte schließlich einen Freispruch: »Dass mein Mandant unmaskiert jemanden ausraubt, der ihn namentlich kennt, zeigt doch, wie verzweifelt er war und wie bedroht er sich gefühlt hat.« Das Gericht folgte trotzdem dem Antrag des Staatsanwalts und erkannte auf schweren Raub in einem minder schweren Fall. Richter Reineke sagte, der Angeklagte habe »mehrere Möglichkeiten« gehabt, den Überfall nicht zu begehen.
Viktor W. wird demnächst wieder vor Gericht erscheinen - als einer der Zeugen im Prozess gegen die Erpresserbande.

Artikel vom 30.06.2006