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Guantánamo

Zynisch auf Zeit gespielt


Das hätte US-Präsident George W. Bush auch einfacher haben können. Guantánamo widerspricht der Genfer Konvention zum Schutz von Kriegsgefangenen.
Was jeder Bundeswehrsoldat in der Grundausbildung lernt, musste sich Bush erst vom Obersten Gericht der USA erklären lassen. Die höchsten Richter des Landes fügten damit seiner Anti-Terror-Politik eine schwere juristische Niederlage zu. Mit dem Urteil hat sich Bush zugleich eine der wichtigsten Entscheidungen über die Befugnisse eines US-Präsidenten im Kriegsfall seit dem Zweiten Weltkrieg eingehandelt.
George Bush ist nicht so naiv, wie ihn viele gerne darstellen. Er hat auf Zeit gespielt - zynisch, sonst nichts. Bis zum Richterspruch waren alle Verfahren gegen Terror-Verdächtige ausgesetzt. Normalerweise müsste jetzt alles ganz schnell gehen, was aber niemand ernsthaft erwartet.
Immerhin müssen den noch 450 einsitzenden Gefangenen jetzt mindestens formelle Anklagen und angemessener juristischen Beistand gewährt werden. Bislang wird gerade zehn von ihnen vorgeworfen, der El Kaida anzugehören oder ihr zugearbeitet zu haben. Niemandem wird eine direkte Beteiligung an den Anschlägen vom 11. September 2001 vorgeworfen.
Am Ende werden alle Häftlinge als unschuldig entlassen, die USA auf Entschädigungen nach US-Recht verklagt und der politische Schaden weltpolitisch kaum bezahlbar sein. Reinhard Brockmann

Artikel vom 30.06.2006