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Stanislaw Jerzy Lec

»Gar schrecklich sind die
Schwächen
der Gewalt.«

Leitartikel
Kriegs- und Krisenherde

»Wolke 7« bringt
es nicht


Von Rolf Dressler
Indonesien und die Philippinen. Afghanistan, der Irak, der Sudan und Ruanda. Dazu die sogenannte Republik (!) Kongo, die makabrerweise tatsächlich unter dieser Bezeichnung geführt wird. Das mit Militärgewalt wenigstens leidlich gedeckelte Pulverfass Balkan direkt vor Mitteleuropas Haustür.
Todfeindschaften sogar zwischen rivalisierenden islamischen Volks- und Stammesgruppen. Und - gleichfalls im Namen des Propheten oder auch des fanatisierten Hinduismus - massive Christenverfolgung, Terror und Unterdrückung von Millionen Anders- und »Ungläubigen«.
Wie eigentlich haben normalverständige Menschen sich angesichts all dessen jene »Weltfriedensordnung« vorzustellen, die uns die Mächtigen fortwährend so bombastisch anpreisen?
Gewiss, Visionen können Augen öffnen und neue Zielhorizonte auftun. Aber eine alle(s) umfassende »Welt«-Friedensordnung - ist dieser Anspruch nicht blanke Illusion, wenn nicht Irreführung, wie sie im Buche steht?
Solche häufig vorsätzliche Gaukelei stößt sich leider höchst un- sanft an den bestürzenden Wahrheiten und Wirklichkeiten von Krieg, Massenmord und Tyrannei an ungezählten (Dauer-)Brandherden auf dem Erdenrund. Der Ewigkeitstraum von einer »Welt«-Friedensordnung greift zu weit, gemessen an dem, was realisti- scherweise als »machbar« bezeichnet werden kann. Erst wenn die Menschen auf Dauer im Kleinen miteinander ins Reine kommen, werden sie (gemeinsam) den Willen und die Kraft finden, Schritt für Schritt auch das zu lösen, was heute noch als einige Nummern zu groß erscheint.
Bedrückend schauerlich bietet sich der Welt just auch heute wie- der die Hass-, Terror- und Totschlag-Region Nahost dar. Palästinenser und Israelis vollführen das alttestamentarische »Auge um Auge, Zahn um Zahn«, als schrieben wir nicht das 21. Jahrhundert nach Christi Geburt, sondern durchlitten eine ferne, tiefdunkle Zeit entfesselter Gewalt, Gegengewalt und Vergeltung, die längst ein für allemal überwunden schien.
Um einen ihrer Soldaten zu befreien, fällt Israels Armee geballt in den Gazastreifen ein und greift sich mit einem Schlag gleich minde- stens 60 Mitglieder der regierenden militanten Hamas-Organisation, darunter mehrere Minister und Parlamentsabgeordnete. Wegen terroristischer Aktivitäten gegen Juden sollen sie in Israel vor Gericht gestellt werden.
Ähnliches geschieht immer und immer wieder. Wem kommt da noch ernsthaft in den Sinn, et- was von einem Nahost-»Friedens-prozess« (!) zu murmeln, der nun zum wer-weiß-wievielten Male »gefährdet« werde?
Nein, solch ein hilfloses Drumherumreden aus sicherer Entfernung ist unwürdig. Es fällt auf die Urheber zurück und verschlimmert das unfassbare Treiben nur noch.
Ob »global«, regional oder lokal: Eine tragfähige Friedensordnung schafft nicht, wer mit Kopf und Fuß auf »Wolke 7« unterwegs ist.

Artikel vom 30.06.2006