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Held Ricardo
hält gleich
drei Elfmeter

Eusébio ist stolz auf die Portugiesen

Von Klaus Lükewille
Gelsenkirchen (WB). Ricardo war der gefeierte Mann. Aber Portugals Torwart wehrte alle Glückwünsche zum Einzug ins Halbfinale ab: »Die Mannschaft hat gewonnen, nicht ich allein. Ich bin kein Held.«

Das sehen seine Kollegen, sein Trainer und seine Landsleute anders: Ricardo, ein Held, der alles hält. Jedenfalls fast alle Elfmeter. An ihm verzweifelten die Engländer schon 2004 im EM-Viertelfinale - und jetzt wieder. Damals in Lissabon hatte sich Ricardo die Handschuhe ausgezogen, meisterte den letzten Strafstoß und jagte anschließend den Ball zum 6:5-Erfolg seiner Mannschaft ins Netz.
Jetzt, beim 3:1 (0:0) in Gelsenkirchen, war Ricardo schon vorher sicher: »Ich wusste genau: Wir gewinnen. Die Engländer haben das Aus von 2004 noch im Kopf.« Genau so kam es: Der Portugiese, der bei den Schüssen seiner Teamkameraden nicht hinschauen konnte, fixierte die Rivalen hingegen messerscharf. Auge in Auge mit Steven Gerrard, Frank Lampard und Jamie Carragher überkam diese das große Flattern. Alle drei scheiterten an Ricardo, der sich später ein dickes Kompliment von Trainer Luiz Felipe Scolari anhören durfte: »Der Junge hat hart an sich gearbeitet. Elfmeter sind seine Spezialität geworden.«
Portugals Nummer 1 äußerte gleich nach Spiel einen großen Wunsch: »Im Halbfinale gegen Brasilien, das wäre der Höhepunkt meiner Karriere.« Jetzt heißt der Gegner Frankreich, was dem Trainer nicht unrecht sein dürfte. Denn Scolari wäre wohl nicht gern ausgerechnet gegen seine Landsleute in ein so wichtiges Spiel gegangen. 2002 hatte er den jetzt gescheiterten Favoriten noch zum WM-Triumph geführt.
Und jetzt die Portugiesen ins Halbfinale. Nach 40 Jahren stehen sie wieder in der Runde der letzten Vier. Der große Eusébio, damals der Star der Mannschaft, jubelte: »Ein historischer Tag. Vielleicht schafft diese tolle Truppe jetzt noch mehr.« Der ehemalige Weltklassekicker, der die ersten Partien im Anzug verfolgt hatte, erschien in einem anderen Aufzug: Eusébio trug stolz das Trikot Portugals, verzichtete aber auf die clownesken Auftritte des argentinischen Weltmeisters Diego Maradona. Er strahlte und freute sich lieber etwas leiser. Eusébio, der stille Genießer.
In Gelsenkirchen schwamm er mit Scolari auf einer Stimmungswelle. Der Trainer fühlte eine tiefe Genugtuung: 2004 mit Portugal im EM-Finale, 2006 mit Portugal im WM-Halbfinale. Und selbst wenn es jetzt doch nicht ein bisschen mehr wird, werden sie ihn in diesem Land nie vergessen. »Einfach wundervoll. Aber es war ein schwieriges Spiel, die Engländer leisteten auch in Unterzahl noch viel Widerstand. Zum Glück hatten wir dann Ricardo - und die besseren Elfmeterschützen«, bekannte Scolari.
Petit und Viana scheiterten zwar, aber nach Simao Sabrosa und Helder Postiga verwandelte Cristiano Ronaldo den entscheidenden Schuss vom Punkt und war von sich begeistert: »Ich habe mich sehr sicher gefühlt. Es hat geklappt, es war ein schönes Tor. Ob wir den Titel holen können? Im Fußball ist alles möglich.«
Es fehlen ja nur noch zwei Siege. Am Mittwoch, um 21 Uhr in München, heißt die Halbfinal-Hürde Frankreich. »Ein dicker Brocken«, weiß Ronaldo. »Wer Brasilien raushaut, der muss sehr, sehr stark sein.« Aber die Portugiesen fühlen sich auch stark. Scolari ist zuversichtlich: »Figo und Ronaldo dürften bis Mittwoch ihre Verletzungen auskuriert haben. Sie wollen und müssen unbedingt mit dabei sein.«
Außerdem steht gegen den Weltmeister von 1998 wieder ein Spieler in der Mannschaft, der in Gelsenkirchen wegen »Gelbsucht« nur auf der Bank mitfiebern durfte: Mit Deco sind diese Portugiesen noch unberechenbarer.
England: Robinson - Neville, Ferdinand, Terry, Ashley Cole - Beckham (52. Lennon - 119. Carragher), Lampard, Hargreaves, Gerrard, Joe Cole (65. Crouch) - Rooney
Portugal: Ricardo - Miguel, Carvalho, Meira, Valente - Petit, Maniche - Figo (86. Postiga), Tiago (74. Viana), Ronaldo - Pauleta (63. Simão)
Schiedsrichter: Elizondo (Argentinien)
Zuschauer: 52 000 (ausverkauft)
Elfmeter: 0:1 Simão, Lampard gehalten, Viana verschossen, 1:1 Hargreaves, Petit verschossen, Gerrard gehalten, 1:2 Postiga, Carragher gehalten, 1:3 Ronaldo
Rot: Rooney (62./Tätlichkeit)

Artikel vom 03.07.2006