01.07.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Auf deutsche Tische kommen Obst und Gemüse aus aller Welt. Das Foto zeigt einen thailändischen Bauern auf dem Weg zum Markt. Foto: Reuters

»Lieber tiefgekühlt als unreif«

Paderborner Zumdieck importiert Obst und Gemüse fast aus aller Welt

Von Bernhard Hertlein
Paderborn (WB). Beim Stichwort Ecuador gerät Wolfgang Zumdieck ins Schwärmen. Im Blick hat er dabei nicht etwa die erfolgreichen Fußballer des südamerikanischen Andenstaates, die bei der WM überraschend bis ins Achtelfinale vorgedrungen sind.
Mit Marcus Zumdieck hält die dritte Generation Einzug ins Unternehmen; rechts Vater Wolfgang.
»Aus Ecuador kommt unser bester Brokoli«, sagt der auf Im- und Export von Obst und Gemüse spezialisierte Paderborner Unternehmer. Das Klima in dem auf 2800 Meter gelegenen Hochland am Äquator -Êlange Sonneneinstrahlung, tags nicht zu heiß und feucht-nebelig in der Nacht -Êlässt schöne, bissfeste Brokoli-Röschen wachsen. Nach der Ernte sofort tiefgefroren behalten sie nicht nur ihre Form, sondern Zumdieck zufolge auch Geschmack und Vitamine.
So wie vom ecuadorianischen Brokoli könnte Zumdieck auch von kanadischen Blaubeeren, von niederländischen oder chinesischen Champignons und von polnischen Erdbeeren schwärmen. Der Paderborner ist in der Branche der führenden Importeure von Obst und Gemüse ein Exot; die Konkurrenz sitzt fern vom Binnenland in großen Seehäfen wie Hamburg und Rotterdam.
Dabei reicht die Tradition des Hauses Zumdieck sogar über die Gründung des Unternehmens 1967 hinaus, hatte doch Vater Heinrich Zumdieck bereits einschlägige Erfahrungen in einer Großhandelsagentur gesammelt. Das Unternehmen, das er mit den Söhnen Wolfgang und Michael Zumdieck aus der Taufe hob, entwickelte sich aus kleinsten Anfängen zunächst nur mit angemieteten Lagerflächen. Heute, da außer dem Mitgesellschafter und Geschäftsführer Karl-Heinz Miersch mit Marcus Zumdieck auch schon die dritte Generation mitwirkt, erzielt die Firmengruppe knapp 100 Millionen Euro Umsatz. Zu ihr gehören neben der Verwaltung sowie einem großen Lager in Paderborn (mit Platz für 12 000 Paletten Konserven, 2500 Paletten Tiefkühlware - insgesamt 510 vollgestopfte 40 Tonnen-Lastzüge) ein weiteres mit Abpackstation im niederländischen Venlo (4500 Paletten) sowie eine Tiefkühlfabrik im chinesischen Schandong und eine Konservenfertigung nahe der türkischen Stadt Izmir. In Paderborn arbeiten etwa 70, in den beiden Werken in der Türkei und in China jeweils je nach Saison bis zu 800 Beschäftigte.
Dass er den Spargel für die Konserven in China einkauft und nicht nebenan in der Senne, hat, so Zumdieck, ausschließlich finanzielle Gründe. Gerade der deutsche Kunde sei nicht bereit, die hohen deutschen Arbeitskosten zu bezahlen. Inzwischen seien allerdings selbst polnische Arbeitnehmer in Polen schon zu teuer.
Für die Erdbeer- und Kirsch-Ernten würden Saisonarbeitskräfte aus Weißrussland und der Ukraine importiert. »Die Karawane zieht weiter«, meint Zumdieck. Produktionsstätten in Thailand hätten bereits Probleme, genügend Arbeitskräfte für die Ananas-Ernte zu finden.
Die mit 40 Prozent Umsatzanteil größte Kundengruppe stellt der Großhandel. Dazu zählen die C+C-Großverbrauchermärkte ebenso wie Großlieferanten für Gastronomie, die Bundeswehr oder große Krankenhäuser. Etwa gleich groß ist der Absatz, der an die Lebensmittelindustrie geht. Sie verarbeiten das Gemüse und Obst unter anderem auf Pizzen, in Salaten und in Konfitüren.
Ein Fünftel geht zudem an den Lebensmittel-Einzelhandel. Hier wird die Ware teils unter Zumdieck-Markennamen wie »Golden Crown«, »Iris« und »Brigant«, teils unter Produktnamen des Handels verkauft.
Zu Beginn wurden Obst und Gemüse ausschließlich zu Konserven verarbeitet. Erst vor etwa 20 Jahren begann Zumdieck zusätzlich mit tiefgekühlter Ware. Heute hat sie bereits einen Anteil von 40 bis 45 Prozent -Êmit steigender Tendenz. »Ich gehe davon aus, dass wir in zwei Jahren die 50 Prozent-Grenze überschreiten werden«, erklärt der Firmenchef. Allerdings werde auch die Konserve wegen der sehr viel längeren, teilweise fast unbegrenzten Haltbarkeit ihre Bedeutung behalten.
»Das Geschäft«, sagt Zumdieck, »ist riskanter geworden.« Die Kunden bürdeten den Lieferanten immer mehr Risiken auf. Und Risiken gibt es viele -Ênaturbedingt hinsichtlich Zeitpunkt, Qualität und Ausmaß der Ernte, mentalitätsbedingt wegen unterschiedlicher Einstellungen zu Qualität und Vertragstreue sowie wachstumsbedingt bei den Finanzen. Im Vorteil sind alle, die über eine möglichst breite Produktpalette und Kapitalbasis verfügen. Zumdieck: »Wer jetzt neu in das Geschäft einsteigt, hat es extrem schwer.«
Dass es Menschen gibt, die Vorbehalte gegen Konserven und Tiefgekühltes haben, wurmt Zumdieck. Gerade Tiefkühlware schneide bei wissenschaftlichen Tests in Geschmack und den Nährstoffgehalt meistens besser ab als die so genannte »frische Ware«: »Wenn Sie sehen, in welchem unreifen Zustand das Obst in Südamerika oder Asien oft geerntet wird, um nach dem Transport in Europa als ÝfrischÜ in die Regale einsortiert zu werden, stellt sich die Qualitätsfrage ganz anders.«

Artikel vom 01.07.2006