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WM macht Wissenschaft

Bauforschung untersucht das Fan-Wanderverhalten

Von Esther Steinmeier
Dortmund (WB). Michael Kasperski war beim Spiel Brasilien gegen Ghana in Dortmund. Allerdings nicht im Stadion, sondern davor. Der Bochumer Bauforscher interessiert sich weniger für Fußball als für Fußball-Fans - besonders, wenn sie gerade über Brücken gehen.

Der Leiter des Forschungsteams »EKIB« von der Ruhr-Universität Bochum nahm mit seinen beiden Kollegen Ecevit Agu und Ceyhun Sahnaci eine Fußgängerbrücke und die brasilianischen Fanströme unter die Lupe. Schwingungsmessungen heißt das Zauberwort.
6000 überwiegend brasilianische Fans - so hat das Forscherteam gezählt - haben in den 90 Minuten nach dem Spiel als nahezu gleichmäßiger Fußgängerstrom die Brücke überquert - und sie dabei buchstäblich in Schwung gebracht. »Jede Brücke hat eine Eigenfrequenz. Liegt die Eigenfrequenz im Bereich der Schrittfrequenzen von Menschen, können entsprechend Schwingungen angefacht werden«, sagt Kasperski.
Das Problem kann bereits auftreten, wenn nur vereinzelt Menschen über die Brücke schlendern. Noch größer werden die Schwingungen, wenn sich Menschenmassen über die Brücke drängeln. Das Bauwerk beginnt zu wanken.
Bereits leichte Schwingungen können wahrgenommen werden - von stehenden Personen stärker als von gehenden. »Große Schwingungen von Bauwerken werden mit Katastrophen wie Erdbeben oder Wirbelstürmen assoziiert und erschrecken die Menschen«, sagt Kasperski. Diese Tatsache dürfe man nicht auf die leichte Schulter nehmen: »Aus dem ersten Erschrecken kann Angst entstehen. Angst kann in Panik umschlagen, und wer panisch ist, beginnt zu rennen. Das ist nicht gut für die Brücke und die Menschen auf ihr.«
Die durchaus ausgefeilten Normen im Brückenbau erfassen dieses Problem nur unzureichend, es fehlt an fundierten Daten. Die will Kasperski mit seinen Messungen beschaffen. Die Menschenmengen, die die WM auf die Beine bringt, sind dafür eine günstige Gelegenheit: »Wir haben einerseits die tatsächlichen Schwingungen der Brücken gemessen und andererseits die Nutzer in ihrem Angstverhalten beobachtet.« Letzteres fiel dem Forschungsteam bei der Beobachtung der portugiesisch sprechenden Fans aus Brasilien allerdings schwer, da sie nur die optisch wahrnehmbaren Reaktionen festhalten konnten. »Wir hoffen, daß wir die Messung bei einem Bundesligaspiel wiederholen können«, sagt Kasperski.
Die Fußgängerbrücke am WM-Stadion hat die Fanströme gut verkraftet und schwang nur leicht zu den Samba-Rhythmen. Und vom Fußballspiel haben Michael Kasperski und sein Team auch das Wichtigste mitgekriegt: »Die Brasilianer waren laut genug.«

Artikel vom 30.06.2006