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Tataren-Metropole Kasan
als neues Städtereisenziel
Spannende Wolgaregion ist Schnittpunkt der Kulturen aus Ost und West
Größer könnte der Kontrast nun wirklich nicht sein. Die Kuppeln einer orthodoxen Kirche spiegeln sich in der Glasfassade eines technischen Instituts.
Die amerikanische Eisdiele in einem neuen, modernen Geschäftshaus ist momentan noch schlecht gelegen, denn der Beginn der Fußgängerzone von Kasan hinter dem Spasski-Turm des Kremls ist noch Sanierungszone. Gegenüber gammelt eine halb abgerissene Ruine vor sich hin. Wenige Meter weiter steht ein blendend renovierter Altbau neben der Fassade eines entkernten Grandhotels. Die Sanierung der Innenstadt von Kasan strebt sichtbar ihrer Vollendung entgegen. Die Tataren-Metropole ist eine der traditionsreichsten russischen Städte und hat sich binnen weniger Jahre zum lohnenden Städtereisenziel entwickelt. Trotz direkter Lufthansa-Verbindung sind es nicht die großen Veranstalter, sondern Nischenanbieter wie das Forum »Russische Kultur« in Gütersloh, die Kasan im Programm haben. Nach der Premiere in diesem Jahr soll die zweite Auflage vom 16. bis 23. Juni 2007 folgen.
Nur 40 000 Ausländer folgten 2005 dem Lockruf der Wolga und der Einladung zur 1000-Jahr-Feier von Kasan. Das wahre Alter der Stadt wird erst jetzt richtig gewürdigt, denn zur Sowjetzeit »durfte« keine Metropole älter sein als Moskau.
Wie das russische Zentrum hat auch die Hauptstadt von Tatarstan einen sehenswerten Kreml. Die weitläufige, von einer weißen Mauer gesäumte Anlage beherbergt neben dem präsidialen Amtssitz eine Außenstelle der St. Petersburger Ermitage, eine hübsche orthodoxe Kirche und den »schiefen Turm von Kasan«. Obwohl der Kreml in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes eingetragen ist, war vor einigen Jahren der Bau einer riesigen Moschee möglich. Im Gegensatz zu den immer stärker auf Abgrenzung bedachten Moslems Nordafrikas und Arabiens laden die Gemeindemitglieder in Kasan allerdings auch Christen dazu ein, das islamische Gotteshaus zu betreten.
Die mittlere Fußgängerzone von Kasan spiegelt den Wandel der vergangenen Jahre wieder. Zahlreiche Restaurants sind entstanden, einige schicke Boutiquen wurden eingerichtet. Und immer wieder buhlen Mobilfunk-Gesellschaften um Kunden. Abends spielen exzellente Straßenmusiker auf, laden Straßencafés zum Verweilen ein.
Hinter dem abbruchreifen Hotelmonster namens »Tatarstan«, dessen Führungskräfte und Servicepersonal noch im sozialistischen Gestern leben, erstreckt sich die neue Fußgängerzone, an der noch kräftig gebaut wird. Edler Marmor und ansprechendes Lampendesign lassen aber schon jetzt erahnen, wie diese Vorzeigestraße am Rande des Millenniums-Parks in zwei bis drei Jahren aussehen wird.
Deutsche Besucher sind natürlich auch immer im »Deutschen Haus« gern gesehene Gäste - vor allem, wenn sie Spenden mitbringen. Denn die evangelische Katharinenkirche, die der Verein zurückerhalten hat, bedarf dringend der Renovierung, für die der Direktor Victor Dietz etwa 400 000 Euro veranschlagt. Chor, Jugendorchester und Theatergruppe zeigen schon jetzt, dass die Kulturarbeit Früchte trägt. Das Deutsche Haus in Kasan sieht sich als Zentrum für 44 000 Wolgadeutsche in den Regionen Kasan, Ufa, Orenburg, Uljanowsk, Samara, Pensa und Tambow.
Im Gespräch mit dieser Zeitung bedauerte die tatarische Vizepräsidentin Silja Walejewa, dass der Russland-Tourismus sich immer stärker auf Moskau und St. Petersburg konzentriere. »Die Wolgaregion hatte früher immer einen ganz besonderen Namen im Reise-Geschäft. Wir waren aber nicht zuletzt auch wegen des guten Binnentourismus der Sowjetunion stark. Heute fahren aber die Leute, die Geld haben, lieber ins Ausland.« Ein starker Markt seien daher die mehr als fünf Millionen Auslands-Tataren, die man zu einem Besuch in der angestammten Heimat einlade.
Im Tataren-Museum finden diese, aber auch alle anderen interesierten Besucher die Geschichte der Republik gut aufbereitet vor, leider jedoch nicht in englisch beschriftet. Das Tatarengebiet war seit jeher Schnittpunkt der Kulturen aus Ost und West.
Kasan ist die Heimatstadt vieler berühmter Persönlichkeiten Russlands. Hier arbeitete der Dichter G. R. Dershawin, sein grosser Schüler Alexander Puschkin schrieb dort ein Kapitel des Buches über den Pugatschow-Aufstand. An der Oper ertönte der Bass des berühmten Sängers Fjodor Schaljapin. Über die Straßen der alten Stadt spazierten Leo Tolstoj und Maxim Gorki. Dort lebten die tatarischen Schriftsteller Gabdulla Tukai und Musa Dshalil.
So gesehen, hätte es Kasan nicht nötig, seinen deutschen Besuchern gleich zu Beginn einer Stadtrundfahrt das sowjetische Heldendenkmal mit Waffenschau aus dem Zweiten Weltkrieg vorzuführen. Denn das Gelände, welches heute mit Quad-Verleih und auf Panzern turnenden Kinder eher an einen monströsen Spielplatz erinnert, liegt in einem sozialisitschen Plattenbauviertel. Von dieser Vergangenheit aber entfernt sich Kasan mehr und mehr.
Thomas Albertsen05241 / 59577www.kcn.ruwww.kazan.ru

Artikel vom 30.09.2006