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Bescheidener Lehmann
leistet das Erwartete

Große Geste: Zuspruch von Vorgänger Oliver Kahn

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Berlin (WB). Wenn auch die Weltmeisterschaft im Elfmeterschießen entschieden wird, muss die deutsche Mannschaft wohl zum hohen Favoriten erklärt werden. In dieser Disziplin macht ihr niemand etwas vor. Vier sichere Schützen, dazu ein Torhüter in Glanzform: Zwar stand am Ende eines außergewöhnlichen Fußballspiels ein 1:1 nach Verlängerung, aber ein 4:2 im Elfmeterschießen.

Auch Jens Lehmann kannte die Statistik, wonach eine DFB-Auswahl viermal in ihrer WM-Geschichte in so eine Nervenschlacht musste und dabei stets das bessere Ende für sich hatte. Er wollte da wohl nicht als erster aus der Reihe tanzen. »Von einem deutschen Torwart wird erwartet, dass er im Elfmeterschießen Elfmeter hält«, sagte Herr Lehmann lachend, nachdem er mit seiner Ruhe erst Julio Cruz und dann auch Esteban Cambiasso aus dem Rhythmus gebracht hatte. »dFast hätte er ie beiden anderen auch noch erwischt«, sagte Bundestrainer Jürgen Klinsmann und bescheinigte Lehmann, ein Ausnahmetorhüter zu sein. Dass er Elfmeter halten kann, hatte Lehmann zuletzt im Halbfinalduell der Champions League mit dem FC Villarreal gegen Juan Roman Riquelme bewiesen. Diesmal mussten gleich zwei von dessen Mitspielern dran glauben. Erst parierte Lehmann um 19:38 Uhr den Elfmeter von Roberto Ayala, um 19:41 Uhr hielt er dann gegen Esteban Cambiasso und stellte den Sieg sicher.
Für Deutschland hatten Oliver Neuville, Michael Ballack, Lukas Podolski und Tim Borowski gegen den eingewechselten Leo Franco (Roberto Abbondanzieri musste nach einem Zweikampf mit Klose verletzt raus) getroffen -Ê alle kalt wie Hundeschnauze. Klar, dass Lehmann vom Lob, mit dem er überhäuft wurde, gern etwas abtrat: »Unsere Schützen haben das gut gemacht.« Groß Aufhebens wollte der Schlussmann vom FC Arsenal später nicht machen, sehr kontrolliert blieben seine Gesten, dann verschwand er auch schon in der Kabine. Sozusagen mit der letzten Parade des Tages begann für ihn bereits die Vorbereitung auf das Halbfinale Dienstag in Dortmund.
Zu den Bildern von Berlin gehörte auch, dass Oliver Kahn vor dem entscheidenden »Shootout« zu seinem Rivalen trat und ihm auf die Schulter klopfte. Auch danach nahmen sich die beiden in den Arm. So nah sind sie sich eigentlich noch nie gekommen. Man kann wohl nicht ganz ausschließen, dass es noch mal passiert. Elfmeterschießen zählen fest zum deutschen WM-Repertoire.
Lehmanns Situation bei der Heim-WM war bis zum Freitagabend völlig konträr zu der seines Rivalen Kahn vor vier Jahren in Asien. Der als Nummer 1 ausgemusterte Kahn führte die deutsche Mannschaft damals als »Titan« mit überragenden Leistungen und nur einem Gegentreffer bis ins Finale. Nun bescherte Lehmann seinem Team zumindest das Halbfinale. Oliver Kahns deutschen WM-Rekord - drei Gegentore in sieben Spielen - kann Jens Lehmann, der abseits des Elfmeterschießens dreimal hinter sich greifen musste, nicht mehr verbessern. Aber er kann noch genauso gut sein wie sein Kontrahent. Dazu müsste er in noch zwei Spielen eine weiße Weste behalten - und könnte Deutschland so zum WM-Titel führen. Das ist Oliver Kahn noch nicht gelungen.

Artikel vom 01.07.2006