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Italien verliert seinen
liebsten Adoptivsohn

Andrej Schewtschenko steht vor schwerem Abschied

Hamburg (dpa). Mit dem Herzen für immer Ukrainer, aber nach sieben Jahren beim AC Mailand auch in Italien verwurzelt: Der anstehende Wechsel des Andrej Schewtschenko zum FC Chelsea ist für die Tifosi ebenso wie für die Mächtigen von Milan wie der Verlust eines Adoptivsohnes.

Mit tausenden SMS-Botschaften versuchten die Fans, den zweitbesten Torjäger der rot-schwarzen Vereinsgeschichte umzustimmen, der für die Rekordablöse von 65 Millionen Euro künftig mit Michael Ballack in London spielen wird.
»Bei vielen eurer Botschaften hatte ich eine Träne im Auge. Ein Teil meines Herzens gehört euch«, sagte Schewtschenko den Fans. Dem Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi, der seit kurzem wieder Präsident des AC Mailand ist, steht der 29-Jährige noch näher: »Ich werde ihm ewig dankbar sein nach all dem, was er für mich und meine Familie getan hat.« Berlusconi ist Taufpate seines Sohnes Jordan, der in London mit der Sprache der Mutter, des US-Models Kristen Pazik, aufwachsen soll.
Auch Schewtschenko will endlich Englisch lernen. In holprigen Worten der Weltsprache gab er nach dem Achtelfinalsieg über die Schweiz Auskunft, nachdem er zuvor in seiner freundlichen, bescheidenen Art den italienischen Journalisten seine Gedanken zum Viertelfinale lange geschildert hatte - in fließendem Italienisch. »Mit Gennaro Gattuso und Andrea Pirlo werde ich ein Leben lang befreundet sein«, erklärte Schewtschenko. Außerdem gehören die Stürmer Filippo Inzaghi, Alberto Gilardino von Milan und der momentan verletzte Alessandro Nesta zum Kader. »Wir sind ihm dankbar für das, was er in all den Jahren für Milan geleistet hat«, sagte Verteidiger Nesta.
Je einen Meistertitel, einen Pokalsieg und einen Supercup holte Europas Fußballer 2004 in Italien mit Milan. Im Champions-League-Finale 2003 verwandelte er den entscheidenden Elfmeter gegen Juventus Turin, 2005 gegen den FC Liverpool verschoss er. Mit den ersten 24 seiner 173 Milan-Tore legte »Schewa« 99/00 die bis dato erfolgreichste Debütsaison eines Ausländers in der Serie A hin.
Der in einer Plattenbausiedlung groß gewordene Schewtschenko lebte abgeschirmt am Westufer des Comer Sees. Modeschöpfer Giorgio Armani wurde sein Freund, Berlusconi verzieh Schewtschenko, dass er dem Sohn die Freundin ausspannte und sie heiratete. Als Vater Nikolai einen Herzinfarkt erlitt, stellte Berlusconi seinen Privatjet zur Verfügung und ermöglichte eine schnelle Behandlung in Mailand.
Nationaltrainer Oleg Blochin hingegen duldet keine Allüren, nur das Kollektiv zählt. Als Blochin während der WM nach der Fitness von Schewtschenko gefragt wurde, bellte er, niemand könne allein ein Fußballspiel gewinnen. Neid gegenüber seinem Star, der wie Blochin von Waleri Lobanowski geformt wurde, lässt er aber nicht gelten: »Er ist ein Beispiel dafür, was man mit harter Arbeit erreichen kann.« Die Kiewer Schule und der Sprung in die Mailänder Weltläufigkeit lassen nach dem schweren Abschied kaum Zweifel daran, dass sich Schewtschenko auch beim FC Chelsea des russischen Milliardärs Roman Abramowitsch zurechtfinden wird.

Artikel vom 01.07.2006