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Gereizte Stimmung belastet
Gespräche in der Koalition

Sieben Stunden lang im Kanzleramt über alle Reformthemen gestritten

Von Claudia Kade
Berlin (Reuters). Union und SPD belasten mit gegenseitigen Provokationen die entscheidende Phase ihrer Verhandlungen über die wichtigsten Reformvorhaben der Koalition.
Eine harmonische Beziehung sieht anders aus: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) schauen nicht besonders glücklich aus. Es gibt Zoff in der Koalition.
In der siebenstündigen Sitzung der Koalitionsspitzen am Sonntagabend, in der über Weichenstellungen für die Föderalismusreform sowie für den Umbau des Gesundheitssystems und der Unternehmensbesteuerung beraten wurde, gerieten die Koalitionspartner nach Angaben von Teilnehmern heftig aneinander.
Auf Unions-Seite hätten sich einige über die Schwierigkeiten von SPD-Fraktionschef Peter Struck mokiert, seine Abgeordneten auf die geplante Reform des föderalen Systems einzuschwören. Darauf habe Struck lautstark protestiert. Schließlich habe auch Kanzlerin Angela Merkel die Stimme erhoben und gewarnt, dass die Koalition ein fatales Bild abgebe, wenn sie bei den anstehenden Reformen nicht geschlossen auftrete.
Gestern griffen mehrere CDU-Spitzenpolitiker Struck erneut scharf an, weil er Kritik an Merkels Amtsführung geäußert hatte. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sprach von »Angespanntheit« in der Koalition. Die Spitzen von Union und SPD hatten am Sonntagabend im Kanzleramt unter Leitung von Merkel und Vizekanzler Franz Müntefering eine Annäherung bei den seit Wochen hart umkämpften Plänen für eine Gesundheitsreform erzielt.
Demnach zeichnet sich ab, dass Steuergelder in zweistelliger Milliardenhöhe in das Gesundheitssystem fließen sollen. Die Grundzüge der Reform sollen in einer weiteren Spitzenrunde am kommenden Sonntag vereinbart werden. Auch bei den Plänen für einen Umbau der Unternehmensbesteuerung wurden Fortschritte erzielt. Hier soll das Bundeskabinett am 12. Juli Eckpunkte beschließen.
Festgefahren waren dagegen nach Angaben von Teilnehmern die Verhandlungen über die Föderalismusreform, die die Koalition zum Amtsantritt vor sieben Monaten noch zum Symbol für ihre Gestaltungskraft erklärt hatte. Die Reform soll am Freitag im Bundestag verabschiedet werden, eine Woche darauf im Bundesrat.
Teilnehmer des Treffens sprachen von einer »kleinen Kapitulation« des SPD-Fraktionsvorsitzenden Struck. Er habe eingeräumt, dass er wegen Kritik an den geplanten Regelungen im Bildungsbereich mit bis zu 60 Gegenstimmen aus seiner Fraktion zur Föderalismusreform rechne und nicht garantieren könne, die notwendige Bundestagsmehrheit zu gewährleisten. Daraufhin sei eine heftige Debatte entbrannt.
CDU-Chefin Merkel appellierte mit Nachdruck an die SPD, der Föderalismusreform zuzustimmen. Ihr Generalsekretär Pofalla sprach von einer Bringschuld der SPD. Hessens Ministerpräsident Roland Koch sagte, es gebe in den Ländern erhebliche Frustration über »die Unfähigkeit der SPD-Führung«, ihre Fraktion auf die Pläne einzuschwören. »Herr Struck ist da im Augenblick bei einer schwachen Leistung.«
Struck wurde auch attackiert, weil er am Wochenende erklärt hatte, es ginge Deutschland besser, wenn an Stelle Merkels weiter Gerhard Schröder Kanzler wäre. Der stellvertretende CDU-Chef Christian Wulff mahnte die SPD zu einem respektvollen Umgang mit der Union. Kritik in dem Stil, den Struck gewählt habe, müsse unterbleiben. Struck wolle offenbar mit seiner Kritik an Merkel von eigenen Problemen ablenken.
Koch, der wie Wulff zu den parteiinternen Widersachern Merkels zählt, wies Strucks Äußerungen ebenfalls scharf zurück. »Millionen finden, dass sich Angela Merkel mit ihrer sachlich-ruhigen Art wohltuend von ihrem Amtsvorgänger abhebt. Bei dem wusste man nie, ob er gerade Politiker oder Schauspieler war«, sagte er.
Merkel hatte jüngst den Unmut der SPD auf sich gezogen, als sie Deutschland als Sanierungsfall eingestuft und damit indirekt Kritik an der Haushaltspolitik der rot-grünen Vorgängerregierung geübt hatte. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil sagte, er habe an Strucks Äußerungen vom Wochenende nichts zu kritisieren.

Artikel vom 27.06.2006