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Der »linke« Scharfschütze

Roberto Carlos spielt schon seit elf Jahren in Europa

Von Klaus Lükewille
Frankfurt/Main (WB). Ein Jahr Mailand. Zehn Serien Madrid. Jetzt vier Wochen Deutschland. Demnächst London? Keine Frage: Roberto Carlos mag Europa.

Hier fühlt er sich wohl. Hier spielt er. Hier kassiert er. Und hier will er zum zweiten Mal Weltmeister werden. In Berlin. Am 9. Juli. Aber der Weg in das Hauptstadt-Stadion führt zunächst über Frankfurt. Dort steigt an diesem Samstag das Viertelfinale gegen Frankreich. Für Roberto Carlos (33) die Chance zur Revanche, denn er war dabei, als der Titelverteidiger 1998 in Paris mit 0:3 aus dem Stade de France gefegt wurde. »Da ist noch eine alte Rechnung offen. Da möchte ich zuschlagen.«
Roberto Carlos, 1,69 Meter groß, 70 Kilo schwer, hat ein »Pfund im Fuß«. Mehr als 150 Stundenkilometer sind schon gemessen worden, wenn er abzog. Viele Gegner, vom Brasilianer schwer getroffen, forderten anschließend: »Der braucht einen Waffenschein.« Vorsicht, Scharfschütze!
Aber Roberto Carlos schießt ja nicht nur knallhart, er kann die Kugel auch um die Mauer zaubern. Wie 1997 beim Confed Cup. Da staunte der Franzose Fabian Barthez nur noch. Dieser Kerl hatte doch glatt einen Freistoß aus 35 Metern um den Schutzwall der Abwehrspieler gezirkelt. Unerreichbar für Barthez segelte das Leder ins Netz. »Das kann man nicht lernen«, sagt Roberto Carlos stolz. »Das muss man können.«
Und dieser »linke« Brasilianer kann noch viel mehr. Pässe über 50 Meter aus dem Fußgelenk, die genau vor einem Kollegen landen - wo ist das Problem? Oder seine Einwürfe. Die fliegen wie Flanken in den gegnerischen Strafraum. Und dann diese blitzschnellen Antritte: Roberto Carlos soll die 100 Meter auch heute noch glatt unter elf Sekunden laufen. Mit 33 Jahren. Das gefiel sogar Roman Abramowitsch. Der Chelsea-Eigner hat den Mann, der pausenlos die Linie rauf und runter rennt, schon länger auf seiner Liste.
Mit Real gewann der Brasilianer dreimal die Champions League, diese Krönung wünscht sich der steinreiche Russe auch für seinen Verein. »Chelsea wäre noch einmal eine tolle Aufgabe«, sendete Carlos das Signal zurück. Er steht nach einem Kurzgastspiel bei Inter Mailand (1995/96) seit 1996 bei Real Madrid unter Vertrag, der noch bis 2007 läuft. Ein Legionär, der bei jedem Spitzenverein seinen rasenden Rasenjob erledigen könnte: rennen, flanken, schießen, gewinnen. Alles mit links.
Wie jetzt bei der WM. Seine dritte Endrunde. 1994 war Roberto Carlos zu jung, obwohl er 1993 sein erstes Länderspiel absolvierte. 1998 hat er mit Brasilien das Finale verloren, 2002 reckte er nach dem 2:0 gegen Deutschland in Yokohama den Pokal in die Höhe. Und 2006? 124 Länderspiele stehen auf dem Konto von Roberto Carlos. Ganz viel mehr dürften es wohl nicht mehr werden. Nr. 125 gegen Frankreich. Nr. 126 im Halbfinale. Und Nr. 127 in Berlin? Danach könnte er die linke Seite räumen - als Doppelweltmeister.

Artikel vom 01.07.2006