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Die Geduld des Raumfahrers

In einer Woche soll der Deutsche Thomas Reiter endlich zur ISS starten

Von Hanns-Jochen Kaffsack
Paris (dpa). Die Europäer - und allen voran ein Deutscher - blicken ungeduldig dem Countdown einer amerikanischen Raumfähre entgegen: Wenn es am 1. Juli, dem kommenden Samstag, in Cape Canaveral »Go Discovery!« heißt, dann hat das lange Warten für den 48-jährigen Thomas Reiter aus Frankfurt am Main endlich ein Ende.

Ursprünglich sollte er bereits 2004 das europäische »Columbus«-Labor auf der Internationalen Raumstation (ISS) in Betrieb nehmen. Reiter musste wegen der technischen Probleme der US-Raumfähren zwei Jahre dranhängen - und das Labormodul ist noch längst nicht angedockt.
Der erfahrene Astronaut der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) steht vor einem neuen Höhepunkt seiner Karriere im All. Seit 2001 hat er sich für den Langzeiteinsatz auf der ISS erst fit gemacht und wegen mehrfacher Startverschiebungen dann fit gehalten - im Europäischen Astronautenzentrum in Köln-Porz, in dem russischen Swjosdny Godorok, dem »Sternenstädtchen«, und im texanischen Houston.
Im kommenden halben Jahr arbeitet der Deutsche nun auf engstem Raum mit dem Russen Pawel Winogradow und dem Amerikaner Jeffrey Williams zusammen. Er hat auf der Astrolab genannten Mission wissenschaftliche Experimente auf dem Programm, und er soll die ISS-Bordsysteme warten.
Reiter, ESA-Astronaut seit 1992, ist der erste Deutsche in dem fliegenden Wissenschaftszentrum. »Er wird sechs bis sieben Monate an Bord der Station sein, also auch als erster von unseren Raumfahrern so lange dort oben bleiben«, sagte ESA-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain zu dem diesjährigen Höhepunkt in der europäischen Raumfahrt.
Auf der russischen Mir-Station hatte Reiter 1995/96 schon 179 Tage Weltraumerfahrung gesammelt. Sein Flug zur ISS war für Juli 2005 neu angesetzt, doch die Startverschiebung für die »Discovery« und die Shuttle-Krise der NASA verschoben seine Reise immer wieder. So konnte der Vater zweier Söhne noch ein Jahr lang beweisen, dass Geduld auch für Raumfahrer zu den allerwichtigsten Tugenden zählt.
Für Gelassenheit und Präzision ist der Frankfurter bekannt. Wie seinerzeit auf der Mir darf Reiter die Zeit in der ISS mit noch einer Premiere krönen - als erster ESA- Astronaut soll er sechs Stunden lang einen »Ausflug« ins All machen, was Knochenarbeit ist und wahrlich kein Spaziergang.
Nach der letzten Verschiebung zeigte sich der Deutsche cool: »Ich denke, dass die NASA alles dafür getan hat, dass sich die Pannen der Vergangenheit nicht wiederholen.« Notlagen zu meistern sei sowieso im Weltraum »tägliches Brot«. Auch nach der »Columbia«-Katastrophe im Februar 2003 darf ein Astronaut keine Angst vor einem Shuttle-Flug haben. Und der Oberst der Luftwaffe ist keiner, der Nerven verliert.
Für die Europäer sind flotte Shuttle-Starts einer nach dem anderen jetzt wichtig, weil sie endlich ihr Prunkstück, das in Bremen gebaute »Columbus«-Labor, im September 2007 zur Station bringen wollen. Ohne Shuttle wäre das Milliarden-Labor nur noch gut fürs Museum. Doch muss im Sommer 2007 zunächst der »Verbindungsknoten 2« von einem italienischen ESA-Raumfahrer zur Station geflogen werden - der europäische Knoten verknüpft »Columbus« mit dem amerikanischen Labor »Destiny« und dem japanischen Experimentiermodul »Kibo«. Klappt alles, dann gewinnt die Großbaustelle im All nach und nach trotz der Verzögerungen an Größe und die ESA-Präsenz an Bord weiter an Gewicht.

Artikel vom 24.06.2006