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Lahm: der Linke, der von rechts kam

Der deutsche Linksverteidiger zieht aller Augen auf sich - Traumangebot vom FC Chelsea

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Berlin (WB). »Ich wundere mich, dass er linker Verteidiger spielt. Denn er hat nur einen rechten Fuß.« Was Reporter Fritz Klein einst über einen Fußballspieler behauptete, wird anatomisch nicht glücken. Auf Philipp Lahm bezogen, wäre die Aussage aber nicht ganz falsch.
Bayern-Spieler Philipp Lahm hat begehrte Beine.

Den Seitenwechsel vollzog er, als er nach den Lehrjahren beim FC Bayern München als Leihspieler zum VfB Stuttgart kam. Die Schwaben hatten mit Andreas Hinkel einen Rechtsverteidiger, aber links drückte Trainer Felix Magath der Schuh. Den Flankentausch bereute Lahm nie.
Er treibt sein linkes Spiel inzwischen so weit, dass er sogar zwei Helden früherer Tage auf seine Seite zog: Pelé und Diego Armando Maradona lobten den Kleinen über den grünen Klee. Lahm sei ein toller Spieler, sprach Legende Nr. 1 aus Brasilien. »Er kann ein Topstar des Turniers werden«, referierte Legende Nr. 2 aus Argentinien. Unter diesen Umständen überraschte es nicht, dass dem FC Chelsea ganz plötzlich einfiel, es könnte vielleicht eine bessere Wahl für den Linksverteidigerposten geben als den alternden Roberto Carlos. Philipp Lahm zum Beispiel.
Lahm fühlte sich zwar geschmeichelt, sprang aber auf die zarten Avancen aus London nicht weiter an. »Darüber kann ich jetzt nicht nachdenken. Ich will mich auf die WM konzentrieren.« Andere wären bei diesen dicken Komplimenten und einem möglichen Millionenangebot sofort mit dem Traumschiff auf Wolke sieben gesegelt. Lahm findet es besser, den Boden unter den Füßen zu behalten. Wenn es sich dabei um ein Fußballfeld handelt - um so besser.
Als Kind quengelte er dauernd und wollte kicken bis zum Abwinken. Schon sein Förderer Hermann Gerland hielt eine große Karriere für möglich, auch wenn er Lahm nach der Ausbildung beim FC Bayern fast wie Sauerbier anpreisen musste. Ein Stammplatz beim Rekordmeister wäre für den 19-Jährigen noch etwas früh gekommen, also empfahl Gerland seinen Schützling weiter, und Magath griff zu.
Unter ihm reifte Lahm zum Nationalspieler - ausgerechnet auf Deutschlands Problemposition. Nun gab es endlich wieder einen Linksverteidiger von Format. Auch wenn er von rechts kam.
Dass zwischendurch nochmals auf Notlösungen zurückgegriffen werden musste, lag an Lahms Mittelfußbruch und Kreuzbandriss. Sie kosteten ihn ein Jahr. Wenige Wochen vor der WM langte der 22-jährige Profi erneut in den Pechkübel: Vom DFB war ein 60-Minuten-Jux gegen die Nationalelf ausgelobt worden, Luckenwalde zog das große Los und Lahm blieb die Niete - Sehnenriss im Ellbogen. Wer den lebensfrohen Lahm in diesen Tagen erlebt, mag es nicht glauben, er hat es aber selbst erzählt: »Ich habe geweint danach. Ich war in einem Loch.« Doch die Operation verlief erfolgreich, die »Operation WM« konnte auch für ihn beginnen.
Lahm schnallt sich zum Spielen immer noch eine Schiene um. Gegen Costa Rica fiel er auf den Arm, und jeder sah, welche Schmerzen er litt. Sein Schrei kam trotzdem aus Freude.
Gerühmt wird vor allem Lahms Fähigkeit, den Fußball wie Lektüre zu behandeln. »Er liest das Spiel wie kein anderer«, lobt Bundesbibliothekar Klinsmann. Lahm besitzt einen siebten Sinn für den richtigen Moment des Aufrückens, Einrückens und Zurückweichens. Am Ball umgibt ihn eine bayerische Bierruhe, die ihn auch in hektischen Lagen nicht hibbelig werden lässt. Gerland leitet Lahms Qualitäten aus angeborener Begabung ab: »Philipp muss schon im Mutterleib Fußball gespielt haben.«
Lahms Erklärung beruht darauf, dass er liebt, was er tut. »Man muss Spaß haben. Das ist das Wichtigste.« Nur gelegentlich ist er traurig. Zum Beispiel darüber, dass sich niemand aus Luckenwalde meldete, um zu fragen, wie es ihm geht. Die Antwort wäre wohl: besser als je zuvor.

Artikel vom 23.06.2006