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Witwe: Anwalt
soll Millionen
zurückzahlen

Zivilprozess um Generalvollmacht

Von Christian Althoff
Herford (WB). Unter dem Aktenzeichen 6 O 31/05 hat gestern vor dem Landgericht Bielefeld ein Zivilprozess gegen einen Herforder Rechtsanwalt und Notar begonnen. Arztwitwe Renate S. (82) hatte den Juristen verklagt, nachdem er ihr Millionenvermögen auf sich und seine Familie übertragen hatte.

Der Vorsitzende Richter Dr. Reinhard Ruhe sprach von einem »brisanten Fall« und erklärte, die Kammer habe den Eindruck, die 82-Jährige Frau sei ein »Spielball finanzieller Interessen«. Der Richter erläuterte eingangs, das betagte Herforder Arztehepaar habe dem Anwalt 1999 eine Generalvollmacht erteilt, um im Falle der Geschäftsunfähigkeit nicht unter Betreuung gestellt zu werden.
Mit dieser Vollmacht hatte der Rechtsanwalt eine GmbH & Co KG gegründet, in die er den als Altersversorgung vorgesehenen Immobilienbesitz der Eheleute im Wert von 1,4 Millionen Euro überführte. Anschließend übertrug er die Anteile an der Firma im Wege von Schenkungen auf sich, seine Frau und seinen Sohn. Zudem ließ er für seine Familie Kreditkarten ausstellen, mit denen an Geldautomaten und Schaltern der Sparkasse Herford über das Konto der Eheleute verfügt wurde.
Als dem Amtsgericht Herford im September 2004 die Transaktionen aufgefallen waren und es den Bielefelder Steuerberater Dietmar Stratenwerth zum Kontrollbetreuer bestellt hatte, sollen sich nur noch 70 000 Euro sowie ein Wertpapierdepot in der Schweiz im Besitz des Rentnerpaares befunden haben.
Richter Reinhard Ruhe wies gestern darauf hin, dass die Übertragung der Immobilienanteile auf die Familie des Rechtsanwaltes möglicherweise nichtig sei: »Es könnte ein Missbrauch der Vollmacht vorliegen, wenn die Vermögensinteressen der alten Leute verletzt worden sind«, sagte er. Überhaupt müsse ein Rechtsanwalt, der »so etwas ähnliches wie einen Betreuerstatus« habe, »sehr vorsichtig sein«, wenn er fremdes Vermögen auf sich übertrage. Zwar habe Renate S. 2005 im Altenheim gegenüber einer Notarin im Nachhinein erklärt, sie sei mit allem einverstanden gewesen, doch sei fraglich, ob sie diese Erklärung auch für ihren damals bereits verstorbenen Ehemann abgeben konnte.
Der beklagte Anwalt und Notar äußerte sich nicht selbst. Sein Rechtsanwalt Dr. Peter Sohn sagte, der Prozess sei »Geldverschwendung«. Es habe lange ein sehr freundschaftliches Verhältnis zwischen dem Arztehepaar und dem Anwalt und seiner Frau bestanden. »Warum sollten die alten Leute meinen Mandanten nicht beschenken?«
Anwalt Dr. Henning Wolter, der im Prozess für die Witwe und ihren Betreuer auftrat, war mit dem Verlauf der Verhandlung zufrieden. »Es ist offensichtlich, dass der Beklagte den Interessen meiner Mandantin zuwider gehandelt hat. Dabei hatte sie ihn doch als Alleinerben eingesetzt - er hätte nur zu warten brauchen.« Wolter verlangt für die Witwe Auskunft über den Verbleib des Vermögens und will dieses zurückfordern.
Das Landgericht hatte bereits im April per einstweiliger Verfügung einen Widerspruch in mehrere Grundbücher eintragen lassen. So soll verhindert werden, dass der als Geschäftsführer der Immobilien-GmbH & Co KG eingesetzte Sohn des beklagten Rechtsanwaltes Häuser oder Wohnungen verkauft, bevor über mögliche Ansprüche der Witwe entschieden ist.
Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Anwalt war vor zwei Wochen eingestellt worden. Die Staatsanwaltschaft war der Überzeugung, der Rechtsanwalt sei durch die Generalvollmacht befugt gewesen, das Vermögen zu transferieren.
Die 6. Zivilkammer will ihr Urteil bis Ende Juli verkünden.

Artikel vom 23.06.2006