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»Segolène Royal will den Jugendstrafvollzug für Randalierer der Militärgerichtsbarkeit übergeben.«

Leitartikel
Nichts geht mehr

Frankreich
vor der
Wende?


Von Jürgen Liminski
Auch Frankreich steht still, rien ne va plus/nichts geht mehr. Seit Wochen schon rollt die Kugel nur noch in Richtung Präsidentschaftswahlen. Alles steht unter diesem Vorbehalt. Es interessiert eigentlich nur, wer als Sieger in einem knappen Jahr in das Elysee einzieht. Das aber ist unabsehbar. Es könnte durchaus zum ersten Mal eine Frau sein.
Segolène Royal ist die unerklärte Favoritin der Linken. Sie hielt sich lange mit konkreten Äußerungen zurück, zeigte wenig Profil, bricht jetzt aber in die Gefilde ihres wahrscheinlichen Gegners, Innenminister Nicolas Sarkozy, ein und macht mit harten Parolen von sich reden. So will sie den Strafvollzug für jugendliche Randalierer der Militärgerichtsbarkeit übergeben und Kindergeld von der Bereitschaft der Eltern abhängig machen, bei der Erziehung mitzuwirken, etwa Erziehungskurse zu besuchen.
Das hat ihr bei den innerparteilichen Rivalen erhebliche Kritik eingebracht, aber ihrer Popularität keineswegs geschadet. Im Gegenteil, sie liegt in den Umfragen meilenweit vor ihren Hauptkonkurrenten, den ehemaligen Premierministern Laurent Fabius und Lionel Jospin, sowie den Ex-Ministern Dominique Strauss-Kahn und Jack Lang.
Auch ihr Lebensgefährte Francois Hollande, Generalsekretär der Sozialistischen Partei, mit dem sie vier Kinder hat, gibt sich über solche Äußerungen verwundert. Sollte sie die hohen Werte bis in den August halten, wird ihr niemand mehr eine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen ernsthaft streitig machen können.
Segolène Royal wird antreten und gute Chancen haben. Schon zeigt sie sich präsidial und über den Parteien stehend, indem sie auch die heilige Kuh der Sozialisten, die 35-Stunden-Woche, kritisiert. Sarkozy nimmt sie durchaus ernst. Er selbst gibt sich in letzter Zeit weniger hart, versucht sein Bild bei Linkswählern aufzuhellen und zeigt Milde bei Einwandererfamilien, die er zuvor mit Ausweisung bedroht hatte. Auch will er bis Januar in der Regierung bleiben und so Solidarität mit seinem Rivalen im bürgerlichen Lager, Premier Dominique de Villepin, bekunden. Das dürfte de Villepin auch am meisten schaden.
Ein Rivale kann ihm allerdings Kopfzerbrechen bereiten: der Rechtsausleger Jean Marie Le Pen. Wenn wie 2002 viele Kandidaten links und rechts antreten, könnte er wegen der Zersplitterung der Stimmen in den beiden Lagern erneut in die Stichwahl kommen. Es erweist sich immer mehr als strategischer Fehler, dass Chirac stets eine Kooperation mit Le Pen ablehnte und ihn so über der 15-Prozent-Marke hielt.
Anders Mitterrand. Der alte Fuchs hatte die Kommunisten »umarmt« und sie mit der Kooperation deutlich unter die zehn Prozent, mithin in die Bedeutungslosigkeit gedrückt. Le Pen dagegen konnte immer die Protestwähler gewinnen. Sein Abschneiden wird letztlich entscheiden, ob der künftige Präsident Frankreichs eine linke Frau oder ein bürgerlicher Mann sein wird.

Artikel vom 23.06.2006