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Warum man nicht auszieht

ARD-Film stellt unterschiedliche »Nesthocker«-Fälle vor

Mutter Wilburga, Sohn Frank mit Hund Sally und Vater Helmut Pflug auf der Bank am Japan-Häuschen.Foto: ARD

ARD, Sonntag, 17.30 Uhr: Wer mit 30 Jahren noch bei den Eltern wohnt, gilt als Nesthocker. Es wird als Makel gesehen, wenn jemand den Absprung von zu Hause nicht schafft. Wie es dazu kommen kann, welche Rolle die Biografie eines Menschen und seine Familie spielen, beleuchtet die Reportage »Ich ziehe nicht aus«. Elke Thiele hat für ihren halbstündigen Film drei Fälle aufgearbeitet, die jeder für sich einen unterschiedlichen Blick zulassen.
»Zu diesem Thema hat es bislang meistens Situationsbeschreibungen gegeben, bei denen sich die Zuschauer hinterher auf die Schenkel geklopft haben«, sagt Thiele. »So etwas wollten wir nicht machen. Wir wollten herausfinden, wie sich so eine Lebensform entwickelt.« Ein 30-Jähriger aus Sachsen-Anhalt will auf keinen Fall sein Elternhaus verlassen. Einen Grund wegzuziehen, gab es für ihn nicht. Der Alleinunterhalter hat sein eigenes Einkommen, lebt in zwei Zimmern und teilt sich Küche und Bad mit der Familie.
»Es gibt so gut wie keinen Generationenkonflikt in diesem Fall, der Sohn will seine Eltern nicht allein lassen, da geht es auch um Dankbarkeit«, erläutert Thiele. »Ausgleich für ihn ist der Urlaub mit dem Rucksack in fernen Ländern und sein Beruf als Alleinunterhalter, in dem er sich ausleben kann.« Kommt die Freundin zu Besuch, frühstücken alle gemeinsam. Die jetzige Partnerin hat damit kein Problem, das war allerdings nicht in allen Fällen so.
Ein 50-Jähriger aus Sachsen ist nur noch für seine Mutter da. Unter der Woche arbeitet er in Berlin, am Wochenende pendelt er zurück in sein Heimatdorf. Vor 18 Jahren hatte der Mann seine letzte Beziehung. »Die Mutter verhält sich zurückhaltend, sie hat dieses Verhalten nicht gefordert, der Sohn ist im Grunde einsam«, sagt Thiele. In der Familie sei Wert auf Strenge und Disziplin gelegt worden, Gefühle wurden so gut wie nicht gezeigt. »Es gibt gute Gründe für Kinder zu Hause zu bleiben. Auf der anderen Seite müssen Nesthocker häufig aber auch einen Preis bezahlen: auf andere Menschen zu verzichten und aus Zwängen nicht ausbrechen zu können.«
Im dritten Fall geht es um eine Familie im Erzgebirge, von drei Söhnen leben zwei noch daheim. Hier spielen christliche Werte eine große Rolle. Die beiden jungen Männer im Alter von 20 und 26 Jahren wollen erst ausziehen, wenn sie eine eigene Familie gründen.

Artikel vom 24.06.2006