08.07.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Tropischer Regenwald
aus der Vogelperspektive
Spannende Abenteuer in der Gegend um Montego Bay auf Jamaica
Ganz ehrlich: Das Erklettern einer Leiter mit mehr als drei Stufen ist ganz und gar nicht mein Ding. Und nun stehe ich hier im Urwald von Jamaica auf einer Plattform am Rand einer Schlucht und soll mich ganz entspannt fallen lassen.
Worauf habe ich mich da nur eingelassen? Nein, es ist kein Bungee-Sprung, aber was mich bei der Canopy-Tour erwartet, ist auch nicht von Pappe. »Jah man, no problem«, beruhigt mich Randy. »Du hältst Dich einfach fest, und alles andere geht von selbst.« Na, so einfach ist es nicht.
Gottseidank bin ich mit Hosen- und Brustgurt nebst monströsen Karabinerhaken gesichert. Da kann man schon mal die Angst beiseite schieben und den Ehrgeiz entwickeln, unterwegs noch ein paar Fotos zu schießen. Schließlich sieht man als Ostwestfale den tropischen Regenwald nicht jeden Tag aus der Vogelperspektive. Und genau darum geht es: Sich an Seilen durch die Kronen der Urwaldriesen zu hangeln. Es sind die Cottonwood-Bäume, deren Wurzeln dem Feigenbaum gleichen und deren Stämme sich 30 Meter und mehr in den blauen Himmel erheben, an denen die Plattformen befestigt sind, die uns als Zwischenstationen dienen. Also, auf geht's!
Die Seile wirken vertrauenerweckend, die Rollen und Sicherungshaken auch. Ich wage den Absprung - und falle sanft ins Seil. Die Schussfahrt kann beginnen. Es geht direkt über einen Fluss, der unter mir leuchtend grün durch den Wald fließt. Augenblicke später hat mich der Wald wieder verschluckt und ich bin auf einer Plattform gelandet.
Da stehe ich nun und blicke 15 Meter in die Tiefe. Ein Geländer gibt es nicht, aber einer der Tourhelfer hat mich blitzschnell ans Sicherungsseil geklinkt, nachdem er mich vom Tragseil abgekoppelt hat. Durch die Bretter ist die gähnende Tiefe zu erahnen, der Boden wird vom Dickicht verschluckt. So also fühlen sich die Affen, wenn sie sich an die Baumstämme krallen und dann von Ast zu Ast schwingen. Halt - mit den Ästen haben wir nichts zu tun. Die Seile sind so gespannt, dass wir nirgendwo Anstoß nehmen, auch wenn das Ziel vom Ausgangspunkt aus nicht immer zu sehen ist.
Candy aus Oklahoma hat Höhenangst und macht die Tour nur ihrem Mann zuliebe mit. Sie wagt es nicht, von der Plattform nach unten zu blicken. Aber das Gleiten am Seil fasziniert sie dennoch. Kein Wunder: Höhenangst hat man nur mit einer festen Verbindung zum Erdboden, also auf einem Turm oder einer Brücke. Fährt man hingegen in einem Ballon oder schwebt am Seil hoch über der Natur, so verschwindet dieses Gefühl augenblicklich. Trotzdem steigt der Adrenalinspiegel, und Glückshormone fließen durch den Körper: »Jah man, du hast es geschafft«, sagt Randy, und seinem obligatorischen »No Problem« kann ich nur zustimmen.
Das Canopy-Abenteuer ist nur eine der zahlreichen Attraktionen in der Umgebung von Montego Bay, wo man den Touristen die natürliche Schönheit Jamaicas näher bringen will. Das Unternehmen »Chukka Caribbean Adventure« hat noch mehr auf Lager. Wie wäre es mit einer Schlauchbootfahrt durch die Flüsse der Region? Auch Quad-Touren durch die Berge sind möglich. In Sandy Bay warten Reitpferde auf neue Freunde, die sie nicht nur hinauf in die Berge tragen, sondern mit ins Wasser nehmen können. Denn Pferde schwimmen für ihr Leben gerne im Meer, sogar mit Reiter huckepack.
Einmal ein Korallenriff aus nächster Nähe erleben, ohne gleich den Tauchschein zu machen? Auch kein Problem beim Sea Trek. Man bekommt eine Taucherglocke übergestülpt und kann frei atmen - ohne Lungenautomaten und Sauerstoffflasche. Zu Fuß gehe ich auf dem Meeresgrund spazieren, nachdem ich für den nötigen Druckausgleich im Innenohr gesorgt habe. Feuer- und Gehirnkorallen sind zu sehen, ein kleiner Drückerfisch schwimmt vorbei - und mein Guide zeigt mir, wie unterschiedlich einige Meeresbewohner auf sanfte Berührung oder starke Wasserbewegung reagieren. Wie immer unter Wasser: viel zu schnell ist die Zeit vorbei, es heißt Abschied nehmen von der Zauberwelt unter dem Meeresspiegel. Welche Überraschung mir die Natur von Montego Bay wohl als nächstes bereitet? Thomas Albertsen

Artikel vom 08.07.2006