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Der Puls steigt und das Herz flattert

Neustart am Nullpunkt: Bernd Schneider ist das Musterexemplar eines topfitten DFB-Teams

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Berlin (WB). 90 Minuten. Oder doch zwei Stunden. Vielleicht auch noch Elfmeterschießen. Alles ist möglich vom Achtelfinale an. Mit Deutschland gegen Schweden steigt die WM am Samstag in ihre heiße Phase ein. Nur die Harten haben jetzt noch gute Karten.

»Nervenspiele« erwartet Bundestrainer Jürgen Klinsmann. Da steigt der Puls, es flattert das Herz. Die Hände werden nass. »Ein Fehler«, sagt Michael Ballack, »kann schon einer zu viel sein.« Aber damit jetzt kein falscher Eindruck entsteht: Es geht nicht das große Zittern um bei der deutschen Mannschaft. Die wollte es ja nicht nur so haben, die will auch noch viel mehr. Nun muss sie zeigen, was Trumpf ist. Gegen Schweden. Danach vielleicht gegen Argentinien. Italien. Brasilien.
Applaus oder raus. Die acht Tore und neun Punkte aus der Vorrunde sind nur noch ein Streichergebnis. Sie haben die DFB-Auswahl zwar bis unter die letzten 16 geführt, am Samstag beginnt das Turnier jedoch zum zweiten Mal.
Neustart am Nullpunkt. »Wir sind bereit«, behauptet der Bundestrainer. Wenn er seine Spieler so anschaut vor dem Showdown gegen die Skandinavier, dann findet er, dass die Klinsmänner kräftig gebaut sind: »Wir haben eine breite Brust.«
Eine Trainer-Aussage von symbolischem Wert, allerdings mit einem handfesten Hintergrund. Schlapp machen werden die Deutschen wohl am wenigsten deswegen, weil ihnen zu früh die WM-Luft ausgeht. Wie sie sich bis zur letzten Sekunde gegen Polen um den Sieg anstrengten, lässt zumindest in Sachen »Saft« auf eine angemessene Versorgungslage schließen. »Wir sind absolut fit«, sagt Torsten Frings. »Das wird sich bis zum Schluss auszahlen.«
Das satte Übungspensum auch während des Turniers durchzuziehen, bewertet Jürgen Klinsmann schon jetzt als Entscheidung mit Augenmaß: »Es war richtig, die Intensität hochzuhalten. Unsere Spieler haben eine gute Basis.« Die wurde zum Teil auch in Hausarbeit erreicht.
Danach leistete das Starkmacher-Quartett um den amerikanischen Experten Mark Verstegen in den Trainingslagern auf Sardinien und in Genf ganze Arbeit. Sie speichern die Daten aller Spieler. Jeder bekommt, was er braucht. Nur ist das dummerweise viel mehr, als Klinsmann gedacht hatte. Darum gab es nach Überprüfung der Testergebnisse einen Rüffel.
»Wir waren mit dem Fitness-Zustand nicht zufrieden.« Diese Breitseite des Bundestrainers galt der Bundesliga. Die Vorleistung, die dort in den Vereinen erbracht wurde, hielt er offenkundig für so wenig weltmeisterlich, dass seine eigenen Spezialisten bei den WM-Kandidaten ordentlich nacharbeiten mussten. Klinsmann verlangt schnellen Power-Fußball, der bei Bedarf bis zur 120. Minute abgeliefert werden kann. Ohne Sprit im Tank bleibt die Karre liegen.
Die Spieler trugen das volle Programm mit. Keine Klagen, nie ein Murren. Auch, dass sie größtenteils beschwerdefrei über die Runden kamen, nimmt der Bundestrainer als Beleg für die passende Dosierung der Einheiten: »Unsere Spieler haben bisher keine Zerrungen und Muskelfaserrisse, wir sind von schweren Verletzungen verschont geblieben.«
Hinzu kommt, dass der Kraftspeicher auch die mentale Stärke reguliert. Wer aus dem letzten Loch pfeift, macht meistens in der 92. Minute nicht mehr das 1:0. »Wir wissen, dass wir das drauf haben«, sagt Klinsmann. »Auch ein Rückstand bringt uns nicht aus dem Rhythmus. Die Mannschaft ist in der Lage, zurückzuschlagen. Sie wurde auf solche Situationen vorbereitet.« Ob einer wiederkommt, liegt oft an der Konzentration, und die hängt an der Kondition. Der Bundestrainer merkte schon beim Confed Cup, wie wichtig körperliche Top-Form ist: »Wenn du gegen Gegner wie Argentinien und Brasilien nicht bis zum Schluss Tempo gehen kannst, dann hast du keine Chance.«
Als Musterexemplar eines bis an die Grenzen belastbaren Profis gilt Bernd Schneider, der nicht einmal die Last seiner 32 Jahre zu spüren glaubt. Man muss ihn nur fragen, ob dies seine letzte WM ist, dann gerät der Leverkusener richtig ins Laufen: »Wieso letzte WM? Ein paar Turniere spiele ich noch.« Erst einmal will er dieses zu Ende führen. Nur noch nicht so bald.

Artikel vom 24.06.2006