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Klappstuhl oder Köttbullar

Seit zwölf Jahren erfolglos: auch selbstbewusste Schweden unter Druck

Von Elmar Neumann
München (WB). Schweden ist nicht das Volk der lauten Töne. Es gilt zwischen den Zeilen zu lesen, um in den Nachrichten aus dem WM-Lager der Skandinavier kleine Belege für großes Selbstbewusstsein zu entdecken, um im Unwesentlichen das Wesentliche zu finden.

So beschäftigen sich die Nordlichter vor dem samstäglichen Achtelfinale nicht nur intensiv mit der deutschen Nationalmannschaft, sondern auch mit der Zeit, die es zwischen der zweiten und dritten Runde zu überbrücken gilt. Der WM-Dritte von 1994 rechnet sich im Duell mit den Gastgebern so viel aus, dass schon veröffentlicht wurde, dem Bremer Mannschaftshotel am Bürgerpark die Treue halten zu wollen. Nicht zuletzt deshalb, weil sich der Chefkoch des Hauses und der mitgereiste schwedische Koch so außerordentlich gut verstehen.
Die Lagerbäck-Lehrlinge haben an der hanseatischen Nobel-Herberge Geschmack gefunden, die DFB-Auswahl in ihren Planungen bereits für besiegt erklärt und setzen doch auf eine Außendarstellung voller Bescheidenheit. »Die deutschen Spieler sind Allrounder, technisch und physisch stark und sehr effektiv«, gibt sich der Coach betont respektvoll.
Für effizient genug, um die Seinen im Achtelfinale in nur 90 Minuten aus dem Turnier zu werfen indes, hält der 57-Jährige den dreifachen Titelträger kaum. Er sagt es nicht, hat aber bereits die Schützen für ein Elfmeterschießen auserkoren. Kim Källström, Henrik Larsson, Fredrik Ljungberg, Christian Wilhelmsson und der wiedergenesene Zlatan Ibrahimovic oder Marcus Allbäck - je nachdem, welcher der Angreifer zum Einsatz kommt - sollen die Nerven aufreibendste aller Entscheidungen herbeiführen.
»Blågul« (Blaugelb) heißt das Nationalteam in Anlehnung an die schwedischen Landesfarben auch. Wer in Zusammenhang mit den Fußballern von der »Tre kronor« spricht, liegt grob falsch. Diese Bezeichnung ist allein den Eishockey-Assen im Land vorbehalten. Im Gegensatz zu dieser feinen Unterscheidung hätten Kapitän Olof Mellberg & Co. aber rein gar nichts dagegen, sich in punkto Erfolgsbilanz alsbald mit den Puckjägern vergleichen zu dürfen.
Lagerbäck gibt sich gelassen und behält den Druck, der auf ihm lastet, für sich. Vizeweltmeister 1958 im eigenen Land, WM-Dritter 1994 in den USA und dann lange nichts mehr. Zu lange nichts mehr. Ein Dutzend Jahre liegt der letzte Achtungserfolg mittlerweile zurück. Ein ganzes Land sieht die Zeit, die Fußballwelt mal wieder mit Nachdruck auf sich aufmerksam zu machen, genau in diesen Tagen gekommen. Mit der Feier des Midsommar-Festes samt Kartoffeln, eingelegter Heringe, saurer Sahne mit Dill sowie eines anschließenden Tanzes um den Maibaum wollen sich die Skandinavier am heutigen Samstagabend nicht zufrieden geben.
Die Schweden in Deutschland wollen ohnehin lieber mit Köttbullar feiern. Gewinnen die Skandinavier, gibt's bei IKEA gleich zehn dieser Fleischklöpse mit Rahmsauce, Preiselbeeren und Pommes Frites für nur einen Euro. Siegen die Klinsmann-Kicker, verteilt das Einrichtungshaus den Klappstuhl Jeff für nur 100 Cent - passenderweise in den Farben des DFB-Trikots: schwarz oder weiß. Darauf könnten sich dann zumindest die deutschen Fans die Zeit bis zum Viertelfinale vertreiben.

Artikel vom 24.06.2006