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»Hunderttausende Menschen
werden im Sudan sterben«

Schauspielerin Mia Farrow warnt vor humanitärer Katastrophe in Darfur

Von Reinhard Brockmann
Berlin (WB). »Hunderttausende Menschen werden in den kommenden Monaten sterben, wenn Unicef und andere Hilfsorganisationen nicht mehr in Darfur arbeiten können«. Mia Farrow, weltbekannte Schauspielerin (»Rosemaryƕs Baby«) und seit Jahren für Afrika engagiert, sprach gestern bittere, schicksalsschwere Sätze im Haus der Bundespressekonferenz.
Mia Farrow bei ihrer jüngsten Reise in den Sudan mit einem Baby. Ohne internationale Hilfe droht eine humanitäre Katastrophe. Foto: Reuters
Und es ist ihr ernst, todernst: »Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren«, sagte die internationale Unicef-Botschafterin noch ganz unter den Eindrücken einer sechstägigen Reise nach Sudan.
»Wenn man die Lage der Flüchtlinge in Darfur gesehen hat«, ergänzt ihr 18-jähriger Sohn Ronan, »kann man nicht mehr tatenlos bleiben.« Überall in Darfur habe er mit Menschen gesprochen und ihre Geschichte angehört. »Die Leute in Europa und den USA können unheimlich viel für Darfur tun.« Mit 16 hatte Ronan Farrow bereits einen Studienplatz in Yale, wo er im Herbst Jura studieren wird. Inzwischen arbeitete er für US-Sonderbotschafter Richard Holbrooke. Für das »Genocide Intervention Network« hat er bereits eine Viertelmillion Dollar mit Hilfe vieler junger Leute gesammelt.
Gestern war Weltflüchtlingstag. Diesmal richtet Unicef mit ihrer deutschen Sektionsvorsitzenden Heide Simonis den Blick auf die zunehmende Verschlechterung der humanitären Lage in der sudanesischen Westprovinz. Allein in diesem Jahr wurden bereits weitere 250000 Menschen zur Flucht gezwungen.
Die Hilfsorganisationen, darunter Ärzte ohne Grenzen, Welthungerhilfe und Care Deutschland, erreichen nur noch die Hälfte der 1,9 Millionen Flüchtlinge. Auf Hilfe angewiesen ist auch eine gleich große Zahl ortsansässiger Menschen, da sie wegen des Konflikts ihre Felder nicht mehr bestellt haben. Hinzu kommt nach Angaben von Simonis eine Finanzkrise. Die Hilfsorganisationen haben erst ein Fünftel der für 2006 benötigten Hilfsgelder erhalten, um das Überleben und den Schutz der Kinder in Darfur zu sichern.
»Es ist zu gefährlich wegen der neu aufflammenden Kämpfe auch zwischen den Rebellengruppen, Lebensmittelrationen zu verteilen«, sagte Johan van der Kamp, Projektkoordinator der Welthungerhilfe im Sudan, dieser Zeitung.
Alle Organisationen rufen an diesem Weltflüchtlingstag zum Schutz und zur Hilfe gerade für sogenannte Binnenvertriebene auf. Diese werden oft nur schlecht erreicht, weil Regierungen oder Rebellenbewegungen den Zugang verweigern. Die Vereinten Nationen schätzen, dass es weltweit 14,2 Millionen Flüchtlinge und 25 Millionen Binnenvertriebene gibt; die meisten davon in Afrika.
Nach Einschätzung von Heide Simonis hat gerade der Bürgerkrieg in Darfur »zu einer der schlimmsten Flüchtlingskrisen der Gegenwart geführt«. Derzeit lebten 1,87 Millionen Flüchtlinge in riesigen Lagern wie in einem Gefängnis, viele davon seit mehr als drei Jahren. Insbesondere Frauen müssten Vergewaltigung und Mord fürchten, sobald sie die Schutzzonen verließen.
Mit Lebensmitteln aus dem Welternährungsprogramm und medizinischer Versorgung engagieren sich die Vereinten Nationen und Nichtregierungsorgansiationen. In den Lagern wurden Notschulen und geschützte Bereiche eingerichtet, Brunnen, Wasserleitungen und Latrinen angelegt. Der Anteil der Kinder, die an schwerer Mangelernährung litten, konnte innerhalb eines Jahres um die Hälfte verringert werden.
US-Schauspielerin Mia Farrow ist seit dem Jahr 2000 internationale Unicef-Botschafterin. Als Kind litt die 61-Jährige an Kinderlähmung. Gemeinsam mit Unicef unterstützt sie deshalb besonders den Kampf für die Ausrottung des Polio-Virus. Im August 2002, nach dem Ende des dreißig Jahre währenden Bürgerkriegs, besuchte sie Angola. Sie sprach mit Opfern, Lehrern, Ärzten, Helfern, Politikern und ehemaligen Partisanen. 2004 machte sie erstmals auf die Vertreibungen in Darfur aufmerksam.
Vom 10. bis 15. Juni war sie jetzt erneut dort: »Alle sehnen sich nach Sicherheit, damit sie in ihre Dörfer zurück können. Doch die Lage ist sehr zerbrechlich. Wegen der unvorhersehbaren Sicherheitslage und Geldmangels ist nicht klar, wie lange die Hilfe aufrecht erhalten werden kann.«

Artikel vom 21.06.2006