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1848 wehte Schwarz-Rot-Gold
zuerst am Berliner Zeughaus

Im Gespräch: Hans Ottomeyer, Direktor des Deutschen Historischen Museums

Berlin (WB). Wo 1848 die schwarz-rot-goldene Fahne in Berlin zuerst gehisst wurde, leitet Hans Ottomeyer das Deutsche Historische Museum. Reinhard Brockmann fragte nach, ob deutsche Geschichte und die neue Dauerausstellung so gefragt sind wie der Fußball.
Museumsdirektor Hans Ottomeyer (r.) präsentierte die neue Ausstellung Angela Merkel und Kultursstaatsminister Bernd Neumann bei der Eröffnung Anfang Juni. Allein über Pfingsten kamen 21 000 Besucher.

Reichen Schwarz-Rot-Gold und Fußballeuphorie aus für ein deutsches Nationalbewusstsein? Ottomeyer: Nein. Dazu gehört auch die Kenntnis und die Orientierung in der gemeinsamen Geschichte und nationalen Kultur. Die Fahne hat freiheitlich-liberale Bedeutung und im übrigen hat die schwarz-rot-goldene-Fahne im Revolutionsjahr 1848 zu allererst hier in Berlin auf dem Zeughaus geweht.

Was ist ein »richtiger« Deutscher? Ottomeyer: Jemand, der an dieser Sprachengemeinschaft mit den zugehörigen kulturellen Traditionen Teilhabe hat und sich darin zu bewegen und auszudrücken versteht.

Was sind Sie: Lipper, Westfale, Bayer oder ein Berliner? Ottomeyer: Wie fast alle bin ich ein Mischling - mit einer nordhessischen Mutter und einem lippischen Vater.

Laut GEW-Hessen ist die aktuelle Hymne der Deutschen belastet und passt nicht zu unserem Land. Ottomeyer: Wenn Lehrer so einen Blödsinn behaupten, ist das ein bestürzendes Beispiel für die Geschichtsunkenntnis, die sich in Deutschland entwickelt hat. Ich verweise auf die republikanische und freiheitliche Tradition des Deutschlandliedes und sehe eine tiefe und einseitig geprägte Geschichts-Vergessenheit.

Seit Anfang Juni steht die »Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen« allen Deutschen offen. Kommen diese genauso scharenweise wie die Ehrengäste zur Eröffnung? Ottomeyer: Sie kommen ungleich zahlreicher. Während wir am Eröffnungstag nur 3000 Gäste hatten, hat sich das am Pfingstsamstag auf 5000 erhöht, hat dann 6000 am Pfingstsonntag erreicht und am Pfingstmontag hatten wir 10 000 Besucher. Stolz sind wir, dass es keine Schlangen gab. Durch einfache Preisstruktur und zahlreiche Kassen war jeder in wenigen Minuten in der Ausstellung und manche freiwillig bis zu acht Stunden.

Haben Ihre Besucher schon Lieblingsstücke gefunden? Ottomeyer: Nein. Wir bieten einen Orientierungsparcours, in dem man sich bewegt. Viele wollen sich einen ersten Eindruck verschaffen. Umdrängt ist ganz sicherlich unsere auf ein topografisches Relief projizierte politische Karte Deutschlands. Davor bleiben oft 30 bis 40 Personen stehen.

Am Anfang steht die Varusschlacht. Das Datum ist klar, der Ort für einen gebürtigen Lipper auch? Ottomeyer: Nein, diese Frage hat sich in den letzten Jahren dramatisch entwickelt. Ich bin natürlich in dem festen Glauben aufgewachsen, dass bei Detmold der Ort der Entscheidungsschlacht gewesen ist. Doch die Funde bei Osnabrück sind von großer Eindeutigkeit und Klarheit. Das gilt insbesondere für die Münzfunde mit Varus-Stempel und die Tatsache, dass keine Prägungen aus der Zeit nach Christus darunter sind.

Sie sind auch Archäologe? Ottomeyer: Man staunt darüber, wie präzise die antiken Berichte waren. So bestätigen sich zahlreiche Ausrüstungsdetails und auch die späteren vermischten Bestattungen von Tier- und Menschenknochen. Durch die antiken Berichte war immer klar, dass die Varusschlacht 9. n. Chr. genau wie die Schlacht bei Alesia (52 v. Chr.) oder die Schlacht von Hastings (1066 n. Chr.) auf Jahrhunderte die Geschicke bestimmten. Dass es die Varusschlacht tatsächlich so und dort gegeben hat, das ist schon etwas ganz Besonderes. Das vergleiche ich mit Troja, das man nur aus poetischen Berichten kannte. Man wusste nicht, wo und wann und auf einmal lies sich der Kampf um Troja durch authentische Funde belegen. Wir sind dem Museum in Kalkriese mehr als dankbar, dass sie uns viele Objekte auf lange Zeit und die Reitermaske auf einige Zeit geliehen haben. Wir können so diese Initialzündung deutlich machen, wo durch archäologische Zeugnisse geschriebene Geschichte sichtbar wird.

Sie werden die Legionärsmaske bald durch eine Kopie ersetzen müssen. Tut es weh, dass auch das Deutsche Historische Museum nicht alles kaufen und im Original zeigen kann? Ottomeyer: Nein. Es gibt die von langer Hand vorbereitete richtige Entscheidung, dass Funde aus dem Boden zwischen Grundeigentümern und dem jeweiligen Bundesland geteilt werden. Die Bundesrepublik Deutschland hat keine Zugriffsmöglichkeiten und kann sich diese Funde nur als Leihgabe erbitten. Wir verfahren grundsätzlich so, dass wir Bodenfunde auch nicht vom schwarzen Markt abfischen.

Artikel vom 24.06.2006