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Die Ostwestfalen glauben an Russland

IHK-Woche eröffnet - Schmid: Deutschland-Visa bald in Jekaterinenburg und Kaliningrad

Von Bernhard Hertlein
Bielefeld (WB). »Ich glaube an Russland.« Mit diesem persönlichen Bekenntnis hat Herbert Sommer, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Ostwestfalen zu Bielefeld, gestern die 5. Begegnungsswoche eröffnet. Sommer ist nicht der einzige: Jedes elfte der 4500 deutschen Unternehmen, die sich in Russland engagieren, hat seinen Sitz in Ostwestfalen.
Russland zu Gast bei Freunden in Ostwestfalen: Darauf freuen sich (v.l.) IHK-Präsident Herbert Sommer, als Unternehmer selbst in Nowgorod aktiv, Botschafter Dr. Walter Jürgen Schmid und IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Niehoff. Sie eröffneten gestern in Bielefeld die Russland-Begegnungswoche. Foto: Carsten Borgmeier

Dr. Walter Jürgen Schmid, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Moskau, zeichnete in Bielefeld ein zwiegesichtiges Bild von Russland. Was Demokratie und Menschenrechte betreffe, sei man »weit vom Idealzustand entfernt«. Ebenso sei die Korruption noch sehr verbreitet.
Auf der anderen Seite habe sich Russland wirtschaftlich und sozial seit der großen Krise 1998 in großen Schritten nach vorne bewegt. Vor allem die hohen Energiepreise seien »wie Manna aus dem Boden« über das Land gekommen. Neben der negativ zu bewertenden hohen Inflationsrate von etwa zehn Prozent führten sie auch zu einem deutlichen Überschuss im russischen Staatshaushalt. Geld für Investitionen und Geschäfte auch mit dem Ausland sei also vorhanden, meinte Schmid. Deutsche Firmen könnten dabei von einem Sympathiebonus sowohl in der russischen Administration als auch allgemein in Wirtschaft und Bevölkerung profitieren. Dies gelte sogar für Fälle, wo Geldforderungen gestellt werden: »Ich rate jedem von Korruption ab.« Wer einen etwas längeren Atem habe, komme, so erklärte der Botschafter, auch ohne Zahlung zu seinem Recht.
Nach Angaben Schmids ist Russland heute in sozialer Hinsicht weitaus stabiler als zu Regierungszeiten von Boris Jelzin in den neunziger Jahren. Ein Beispiel: Zu Beginn der Ära Wladimir Putin stuften sich 49 Prozent der russischen Bevölkerung selbst als »arm« ein. Heute liege die Quote bei nur noch 21 Prozent.
Dr. August Oetker, geschäftsführender Gesellschafter der Bielefelder Oetker-Gruppe, berichtete von sehr unterschiedlichen Erfahrungen in Russland. Vor der Rubel-Krise 1998 überwog das Negative: Mal erwies sich ein Joint-Venture-Partner, mal das ganze Geschäftsgebahren als unzuverlässig: »Die Spielregeln änderten sich dauernd.« Als Beispiel nannte Oetker die Energieversorgung, »die mal nichts und mal unheimlich viel gekostet hat«.
Bei der Krise 1998 waren dann erst die Importeure und dann das Geld weg, das sie dem Oetker-Konzern schuldeten. »Drei Millionen Euro mussten wir danach abschreiben - aber das war uns diese Erfahrung wert«, sagte Oetker. Bald danach entwickelten sich die Dinge anders -Êund viel besser. Heute produzieren die Bielefelder bereits Joghurt in einem früheren russischen Oncken-Werk, planen zudem eine Pizza-Fabrik in Russland. Immer häufiger trifft Oetker auf Handelspartner, die man auch im Westen kennt. Die kleinen Tante Emma-Läden befinden sich dagegen auch in Russland auf dem Rückzug. »Am meisten«, sagte Oetker, »freut mich, dass die Russen Qualität bei Lebensmitteln sehr hoch schätzen.« Dort sei die Marke geil, nicht der Geiz.
In der sich anschließenden Fragerunde sah sich Botschafter Schmid mit dem Vorwurf konfrontiert, dass russische Wirtschaftspartner oft nur sehr umständlich an ihr Visum kämen und zudem bei der Einreise nach Deutschland noch einmal scharf kontrolliert würden. In seiner Antwort verwies der Diplomat auf die politischen Vorgaben, an die die Mitarbeiter gebunden seien. Mit Jahresbeginn 2007 werde sich jedoch im Zuge des Visa-Erleichterungsabkommens mit Moskau manches verbessern. Dies gelte auch für die Niederlassungsfreiheit deutscher Investoren in Russland. Zudem würden noch in diesem Jahr auch die deutschen Vertretungen in Jekaterinenburg und in Kaliningrad, dem früheren Königsberg, ermächtigt, Visa an Russen auszustellen.
Der gestrige Nachmittag stand im Zeichen von bilateren Gespräche deutscher und russischer Firmen. Die Begegnungswoche wird heute mit Fachvorträgen in der IHK in Bielefeld fortgesetzt. Danach finden weitere Informationsveranstaltungen morgen vormittag in dem zur Harting KGaA (Espelkamp) gehörenden »Botta-Gebäude« in Minden und am Nachmittag in der »Dr. Oetker Welt« in Bielefeld statt. Am Donnerstag besucht ein Teil der Delegation die Hettich-Werke in Kirchlengern. Am Abend diskutieren Thomas Roth, der Leiter des ARD-Hauptstadtstudios in Berlin, und Wassilij N. Smirnov, Gesandter im Moskauer Außenministerium, über die Zukunft Russlands.
www.ostwestfalen-meets.com

Artikel vom 20.06.2006