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Bertelsmann hat bescheidene Aktionäre

Liz Mohn über ihren Mann, Familie, den Konzern, Gütersloh, die Gesellschaft und das Alter

Gütersloh (WB). In Rheda-Wiedenbrück geboren und aufgewachsen begann Liz (Elisabeth) Mohn ihre berufliche Karriere als Telefonistin bei Bertelsmann. Heute ist sie die starke Frau im globalen Medienkonzern. Anlässlich ihres 65. Geburtstages morgen beantwortete sie Fragen von Bernhard Hertlein.
Reinhard Mohn hat sich alters- und gesundheitsbedingt bedingt immer mehr aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. An seiner Stelle steht nun Ehefrau Liz Mohn im Rampenlicht. Morgen feiert die starke Frau bei Bertelsmann ihren 65. Geburtstag. Foto: Stefan Hörttrich

Nach dem Rückkauf der GBL-Aktien gelten Sie nun endgültig als die starke Frau bei Bertelsmann. Ist die Verantwortung, die sich daraus ergibt, eine Last - oder überwiegt die Freude?Liz Mohn: Verantwortung zu tragen ist nicht immer leicht und setzt ein hohes Verantwortungsbewusstsein voraus. Bertelsmann hat einen starken Vorstand, der das operative Geschäft verantwortet, und einen exzellent besetzten Aufsichtsrat, in dem ich eines von insgesamt 15 Mitgliedern bin. Die Stimmrechte in der Hauptversammlung werden künftig allein von der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft (BVG) kontrolliert.
Wie Sie wissen, bin ich auch Vorsitzende der Gesellschafterversammlung und Geschäftsführerin der BVG. Die jeweiligen Verantwortlichkeiten sind durch das Aktiengesetz und unsere Satzungen klar geregelt und verteilt.
Mein Mann und ich sind überzeugt, dass der Rückkauf die richtige Entscheidung für das Unternehmen und die Mitarbeiter ist.

Wie sehr verfolgt Ihr Mann, Reinhard Mohn, noch das Geschehen in AG und Stiftung?Liz Mohn: Mein Mann ist täglich in der Stiftung und nimmt an wichtigen Entscheidungen aktiv teil. Er verfolgt mit großer Aufmerksamkeit die unternehmerischen Aktivitäten der Bertelsmann AG und die Reformarbeit der Bertelsmann Stiftung. Dabei steht er im regelmäßigen Dialog mit Herrn Thielen und den Vorstandsmitgliedern der Stiftung.

Welche Rolle spielt die Familie künftig bei Bertelsmann?Liz Mohn: Die Familie sieht sich vor allem in der Verantwortung, langfristig den Fortbestand der Unternehmenskultur zu sichern und weiter zu entwickeln. Wir stehen für die Kontinuität im Hause Bertelsmann. Als Familiensprecherin in der BVG sehe ich persönlich meine Aufgabe darin, in besonderem Maße dafür Sorge zu tragen, dass das Unternehmen seine Werte und die Unternehmenskultur bewahrt und fortschreibt. Der Rückkauf erlaubt dem Vorstand, eine auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit angelegte Strategie zu verfolgen, die auf Wertschaffung ausgerichtet ist, nicht auf kurzfristige Gewinnmaximierung.

Was sind die großen Vorzüge eines Familienunternehmens?Liz Mohn: Durch das Herauskaufen des einzigen Fremdgesellschafters stärken wir - die Aktionäre und der Vorstand der Bertelsmann AG - all das, was Bertelsmann in mehr als 170 Jahren stark gemacht hat. Konkret heißt das: Wir sichern die erfolgreiche Unternehmenskultur des Hauses und damit die Basis für langfristige Kontinuität und Weiterentwicklung. Eine klare Eigentümerstruktur, wie wir sie künftig haben werden, macht prinzipiell auch die Entscheidungsfindung in wichtigen strategischen Fragen leichter.
Und noch einen Punkt möchte ich betonen: Die Familie Mohn und die Stiftung sind traditionell bescheidene Aktionäre. Bertelsmann wird also künftig eine moderate Ausschüttungspolitik verfolgen. Gerade in langfristiger Hinsicht ist das ein großer Vorteil für das Unternehmen! An freie Aktionäre hätte nach einem Börsengang vermutlich deutlich mehr ausgeschüttet werden müssen. Durch die nun getroffene Entscheidung verbleibt künftig mehr Geld im Unternehmen, das für Wachstum und Investitionen ausgegeben werden kann.

Haben Sie schon entschieden, wer 2007 die Nachfolge Dr. Gunter Thielens im Bertelsmann-Vorstand antritt?Liz Mohn: Dazu gibt es nichts Neues. Der Vertrag von Gunter Thielen läuft bis August 2007, der Aufsichtsrat wird wohl im ersten Quartal 2007 über die Nachfolge entscheiden.

Sie sind heute hier, morgen dort. Aber wenn die Sprache darauf kommt, sagen Sie überall gern, dass Sie aus Ostwestfalen stammen. Wie stark ist Bertelsmann an Gütersloh gebunden?Liz Mohn: Das Unternehmen Bertelsmann ist heute in mehr als 60 Ländern der Erde tätig und somit an sehr vielen Standorten Teil der Gemeinschaft. Auch die Reformarbeit der Stiftung ist zunehmend international geprägt. Unser Stammsitz aber ist seit 170 Jahren Gütersloh. Wir fühlen uns hier sehr wohl. Diese traditionelle Verbundenheit mit unserem Heimat-Standort kommt in zahlreichen Projekten für das kulturelle und wirtschaftliche Leben in der Region zum Ausdruck.

Ihre Arbeit in Bertelsmann- und Schlaganfallstiftung bringt es mit sich, dass Sie beinahe täglich mit ausgeprägten Persönlichkeiten zusammentreffen. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?Liz Mohn: Die Begegnung mit Henry Kissinger war persönlich für mich sehr eindrucksvoll. Auch die Begegnungen und Gespräche mit Nelson Mandela oder Sonia Gandhi waren sehr bewegend - alles Menschen, die etwas für die Gesellschaft geleistet haben.
Aber ich freue mich auch über jeden weiteren Kontakt - auch im Rahmen der Stiftungsarbeit. Die Zukunft unseres Landes liegt angesichts der mangelnden Führungsfähigkeit und Finanzierbarkeit unseres Staates in mehr Eigenverantwortung und Eigeninitiative der Bürger. Es gibt viele Möglichkeiten, sich für die Gesellschaft zu engagieren. Ein besonderes Beispiel sind unter anderem die mehr als 90 Bürgerstiftungen in der Bundesrepublik. Mein Mann und ich haben vor sechs Jahren die StadtStiftung Gütersloh als eine der ersten Einrichtungen dieser Art initiiert.
Ehrenamtliches Engagement und Einsatz für den Nächsten bedeutet auch Gemeinschaft, Sinnerfüllung und Lebensfreude. Es ist nicht nur die Dankbarkeit, die man aus seinen Aktivitäten zurückerhält; es ist insbesondere das Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben. Dabei gibt es vielfältige Möglichkeiten, sich für die Gemeinschaft zu engagieren und Menschen kennen zu lernen.

Prominenz bringt es mit sich, dass selbst Ihr Geburtsdatum öffentlich ist. Ärgert Sie das?Liz Mohn: Mein Alter kann man überall nachlesen - ich habe damit kein Problem. Für mich ist die Frage nach dem Alter vielmehr ein typisches Phänomen unserer Gesellschaft. Als wenn wir am Alter die Leistungsfähigkeit und Gesundheit ablesen könnten! Ich glaube, wir benötigen eine neue Vision vom Alter. Wir haben heute Menschen, die 70 Jahre oder älter sind und noch hervorragende Leistungen erbringen.
Wenn derzeit die Lebenserwartung bei Männern bei über 76 Jahren und bei Frauen bei circa 82 Jahren liegt, dann macht sich hieran unter anderem auch die Umkehr der Alterspyramide in unserem Land fest. Warum nutzen wir nicht die Kompetenzen, Fähigkeiten und Erfahrungen älterer Menschen für unsere Gesellschaft? Und wir dürfen jene nicht vergessen, die durch den demographischen Wandel in eine neue, so genannte »vierte Lebensphase« eintreten - nach den drei Stadien »Ausbildung«, »Beruf« und »Ruhestand«! Auch hier brauchen wir neue Modelle für Betreuung und Pflege, um einerseits die Sozialmodelle zu entlasten und andererseits Solidarität zu leben. Mir ist es ein großes Anliegen, eine Lanze für ältere Menschen zu brechen und mich für eine neue Betrachtung des Themas »Alter in unserer Gesellschaft« zu engagieren.

Artikel vom 20.06.2006