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»Die Devise lautet: Blendgranaten werfen und so tun, als ob man den Familien
helfen wolle.«

Leitartikel
Ehegattensplitting

Das »große
Ringen« der
Heuchler


Von Jürgen Liminski
Man ringt um das Ehegattensplitting, ideologische Grabenkämpfe finden zwischen den Zeitungsspalten statt. Genau das ist beabsichtigt. Familien sollen glauben, die Union kümmere sich um sie, aber die Große Koalition stünde dagegen.
Nur: Diese Debatte ist ein Schattenboxen. Beide Seiten wissen, dass ein Familiensplitting teurer ist als das Ehegattensplitting. Schon vor fünf Jahren hatten SPD-Finanzexperten die Kosten ausrechnen lassen und schweigen seither. Solange diese Zahlen (rund dreißig Milliarden) nicht in den Zeitungen stehen, werden sie heiß debattieren - und nichts tun.
Es sei denn, sie schafften das Ehegattensplitting ganz ab und verführen nach der Devise dieser Regierung: Blendgranaten werfen, so tun, als ob man den Familien helfen wolle und im Eifer des publizistischen Gefechts eine Regelung treffen, die von den Familien bezahlt wird.
So sind sie beim Elterngeld verfahren. Sie geben den Familien 1,4 Milliarden und holen ihnen zugleich zehn Milliarden aus der Tasche: Streichen der Eigenheimförderung, Kürzung des Kindergeldes und der Pendlerpauschale, Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Familiensplitting nach französischem Muster wäre durchaus angebracht. Hier haben die Eltern je den Faktor 1, die ersten zwei Kinder den Faktor 0,5 und vom dritten Kind an jedes Kind den Faktor 1. Das zu versteuernde Einkommen einer Familie mit vier Kindern wird also durch fünf geteilt, das Ehegattensplitting ist Bestandteil des Familiensplittings.
Die Verfahrensweise der Großen Koalition sähe so aus: Eltern haben den Faktor Null, Kinder allenfalls 0,5. Im Beispielfall würde das Einkommen durch 1,5 geteilt, nicht durch zwei wie beim Ehegattensplitting, die Regierung hätte wieder gespart - auf Kosten der Familien. Aber sie würde sich laut brüsten, etwas für die Familien getan zu haben.
Das »große Ringen« in der Union für die Familie wird nicht dazu führen, dass größere Wählerkreise erschlossen werden. Junge willentliche Singles, nichtverheiratete Paare, alternative Lebensformen werden weiterhin rot oder grün wählen, weil sie in ihrem Individualismus, um nicht zu sagen Egozentrismus, den kulturellen Wert der Ehe nicht sehen wollen. Leider gilt das auch für etliche Politiker der Union. Das Zündeln an der Institution Ehe wird eher noch mehr Unionswähler misstrauisch machen - von rechtlichen, eigentlich unlösbaren Fragen einmal ganz abgesehen. Die Operation Ehegattensplitting droht in einer weiteren Entfremdung der Parteiführung zur Basis zu enden.
Neun von zehn Paaren, die zusammenleben, tun dies in einer Ehe. Um diese Menschen sollte man sich als Volkspartei vorrangig kümmern. Die Debatte führt, bei Lichte besehen, zu nichts. Wer es gut meint mit Ehe und Familie, der beendet die Diskussion oder führt sie so, dass das Ehegattensplitting in einem neuen Familiensplitting aufgeht. Alles andere schadet der Ehe als dem Kern der Familie und damit auch diesem Land.

Artikel vom 20.06.2006