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Auf der Suche nach dem Glück
Von einem Zustand, der kommt und geht - und sich dabei ein klein wenig auch steuern lässt
Manchmal sagt man es so dahin. »Glück gehabt!« Und beschreibt damit das Gefühl, die Straßenbahn schon um zehn vor acht und nicht erst die um acht erwischt zu haben. Ein bescheidenes Glück.
Aber schnell kann daraus auch eine andere Dimension erwachsen. »Glück gehabt!«: weil die spätere Straßenbahn spektakulär entgleiste. Oder »Riesenglück gehabt!«: weil in der früheren Straßenbahn, die man sonst nie nahm, unverhofft die große Liebe des Lebens wartete - die wiederum ihre Standard-Linie möglicherweise gerade an diesem Morgen verpasst hatte!
Ja, (solche) Zufälle gibt's! Aber resultiert Glück aus Zufall, oder ist jeder seines Glückes Schmied? Macht es Sinn, sich Gedanken über (verlorenes) Glück zu machen? Oder gilt Johann Straußens »Fledermaus«-Operettenweisheit von 1874: »Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist«?
Beides wohl. Denn Glück ist nicht gleich glücklich sein, das zufällige Glück ein anderes als jenes, was auf Dauer ein Leben erfüllen kann.
Glück ist überall - und nichts ist auch so flüchtig. Ein Strandspaziergang bei rauer See, ein Bergpanorama auf einsamem Gipfel, mit dem Motorrad auf kleinen Straßen durch wogende Weizenfelder zu kreuzen - das können wunderbare Glücksmomente sein. Oder sprichwörtlich: »Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde!«
Wird spontan nach Glück gefragt, dann wird oft der Gewinn im Lotto als solches genannt. Auch Lottogewinner fühlen sich glücklich - so ungefähr ein gutes Jahr lang. Danach finden sie ihr Leben im Reichtum total normal - oder die Million hat sie gar ins Unglück gestürzt (weil verspielt, verspekuliert, von falschen Freunden kassiert, versoffen oder Schlimmeres...).
Wird nach dem nachhaltigen Glück gefragt, dann spielt das Geld keine Rolle. Gesundheit, Liebe und Zufriedenheit mit dem eigenen Leben stehen da ganz oben auf der Liste. Der irische Literatur-Nobelpreisträger George Bernard Shaw (1856 - 1950) brachte es so auf den Punkt: »Es ist nicht schwer, Menschen zu finden, die mit 60 zehnmal so reich sind, wie sie es mit 20 waren. Aber nicht einer von ihnen behauptet, er sei zehnmal so glücklich.«
Nichts erzählt schöner das Wesen des nachhaltigen Glücks als das Grimmsche Märchen vom »Hans im Glück«. Jeder, der sein Glück im Wohlstand sucht, hält diesen Burschen für einen ausgemachten Idioten. Doch die jahrhundertealte Geschichte legt dar, dass das Lebensglück vor allem eine Sache der inneren Einstellung ist.
Hans arbeitete bekanntlich sieben Jahre lang bei einem Meister. Der war sehr zufrieden mit seinem Gesellen und entlohnte ihn, als er dann ging, mit einem kopfgroßen Klumpen Gold. Allerhand schlitzohrige Leute laufen dem gutmeinenden Hans noch am gleichen Tag über den Weg.
Zunächst tauscht er sein Gold gegen ein Pferd, das Pferd gegen eine Kuh, die gegen ein Schwein und das endlich für eine Gans ein. Schließlich gibt er die noch für einen schadhaften Wetzstein weg.
Und als der Stein zu guter Letzt in einen Brunnen fällt, da dankt Hans mit Freudentränen in den Augen dem lieben Gott. Im Märchen heißt es: »ÝSo glücklich wie ichÜ, rief er aus, Ýgibt es keinen Menschen unter der Sonne.Ü Mit leichtem Herzen und frei von aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter war.«
Der römische Denker Lucius Annaeus Seneca (um 4 vor bis 65 nach Christus) kommentierte dergleichen trefflich mit den Worten: »Glücklich ist nicht, wer anderen so vorkommt, sondern wer sich selbst dafür hält.« Und genau das erklärt auch, warum der ärmste Schlucker glücklicher leben kann als der in seinem Geldbunker badende Onkel Dagobert, der hässlichste Vogel sich für einen größeren Glückspilz halten kann als Frauenschwarm Brad Pitt einer ist.
Und selbst andersherum funktioniert die glückselige Selbstheilung im Regelfall. Wer etwa durch schweren Unfall oder Krankheit ein Köperteil oder das Augenlicht einbüßt, an den Rollstuhl oder das Bett gefesselt oder durch Brandwunden entstellt wird, sieht das zunächst als das Ende. Doch so, wie der Lottomillionär den Gipfel des Glücks peu à peu verlässt, kehrt der schwer vom Schicksal Geprüfte irgendwann aus dem Tal der Trübnis zurück. Beide treffen sich dann wieder auf ihrem früheren, normalen Glücksniveau.
Gibt es von Natur aus glückliche und von Natur aus ungglückliche Menschen? Mediziner und Neurobiologen könnten es mit der »Chemie« beschreiben, die das menschliche Gefühlsleben im Lot hält. Produziert das Gehirn zu wenig Glückshormone, stürzt der Mensch in die Depression. Aber ist dieses Defizit nun angeboren oder selbstgemacht? Wer war zuerst da, die Henne oder das Ei?
In den USA, wo das »Streben nach Glück« schon in der Unabhängigkeitserklärung von 1794 verankert ist, gibt es eine Reihe von Glücksforschern. Sie glauben zumeist, dass Menschen durchaus Einfluss auf ihr Lebensglück nehmen können.
Ed Diener von der Universität von Illinois in Chicago hat in seinen »Fragebogen zur Lebenszufriedenheit« herausgefunden: Glückliche Menschen haben häufig positive Ereignisse - dabei ist die Häufigkeit und nicht die Intensität entscheidend. Es scheint besser, sich bei vielen kleinen Anlässen wohlzufühlen und sich zu freuen, statt auf »das große Glück« zu warten.
Sein Kollege David Myers, Sozial-Psychologe am Hope College in Holland, Michigan, glaubt, dass glückliche Menschen Realisten bei der Einschätzung ihrer Ziele und Möglichkeiten sind. Sie senken entweder ihre Ansprüche ab, oder intensivieren die Anstrengungen. Sie sind nicht nur augenblicksabhängig und genussorientiert, haben also Ziele. Aber sie sparen sich auch nicht auf, sie leben im Hier und Jetzt.
Allerdings gibt die Wissenschaft sich nicht der Illusion hin, der Glücksformel auf den Fersen zu sein. Alfred Bellebaum, emeritierter Soziologie-Professor an der Universität Koblenz-Landau, Gründer und Leiter des Instituts für Glücksforschung in Vallendar, sieht »von der Antike über das Alte Testament und die Philosophie der Neuzeit bis hin zum heutigen Tag« Übereinstimmungen lediglich in zwei Fragen: Darin, dass der Mensch nach Glück strebt und darin, dass Glückserlebnisse zeitlich begrenzt sind. Glück auf den Punkt zu definieren, lehnt er ab: »Es gibt so unterschiedliche individuelle und gesellschaftlich vermittelte Glücksvorstellungen, dass alle Versuche, zu einer verbindlichen Definition zu kommen, fehlschlagen müssen.«
Eine kürzlich vom Forschungsinstitut Explorandum im Auftrag der Kreditkartenfirma Visa angefertigte Studie kam immerhin zu dem Ergebnis, dass sich 64 Prozent der Bundesbürger in ihrem Alltag ausdrücklich als glücklich oder zufrieden bezeichnen - allen nervenden täglichen kleinen und großen Problemen zum Trotz.
Es seien »die einfachen Freuden im Leben«, die die Deutschen glücklich machten - wie das Zusammensein mit Partnern und Familie, Sonnenschein oder ein Kuss, sagen die Forscher. Lediglich 13 Prozent nannten sich ausdrücklich unglücklich.
Und so sieht auch der Münchner Psychologe Stephan Lermer den Menschen grundsätzlich in der Lage, seine Portion Glück im Leben mitzubestimmen. »Wenn wir die Glücksschraube bewegen wollen, müssen wir an der Einstellungsschraube drehen«, empfiehlt er - der Einstellung zum Leben. »Jeder sollte sich vornehmen, Begebenheiten, auch wenn sie nicht so gut gelaufen sind, positiv zu interpretieren - Motto: Wenn's regnet, wird eben im Saal getanzt.« Ingo Steinsdörfer

Artikel vom 16.09.2006