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Rütli-Schwur in der Kabine

Gruppe G: Nach 2:0 peilen die Schweizer den ersten Tabellenplatz an

Von Klaus Lükewille
Dortmund (WB). Hopp Schwiiz, auf geht's, Schweiz! Wohin? Ins Achtelfinale? Oder sogar noch eine Runde weiter?

Während die Spieler unten auf dem Rasen mit den Fans oben auf den Rängen die rote Welle durch das Dortmunder Stadion schwappen ließen, wollte sich Hanspeter Latour noch nicht so richtig mitreißen lassen. Der Trainer des Bundesliga-Absteigers 1. FC Köln sieht die Lage in der Gruppe G realistisch: »Eine brisante Situation: Wir können Erster werden, das wäre wunderschön. Aber wir können auch ausscheiden. Das wäre dann sehr bitter.« Das 2:0 gegen Togo war kein Glanzstück, das hatte auch Latour erkannt: »So viele Abspielfehler dürfen wir uns gegen Südkorea nicht wieder leisten. Sonst sind wir weg.«
Aber erst einmal sind die Schweizer noch voll dabei. Trainer Jakob »Köbi« Kuhn hat seit seinem Amtsantritt im Sommer 2001 eine Auswahl geformt, die in dem kleinen Land ein loderndes Fußballfeuer entfachte: »Alle stehen hinter dieser Mannschaft. Und die Truppe hat das auch verdient. Sie zeigt Charakter, gibt nie auf. Die Leute sehen: Die wollen, die rennen, und die können auch besser spielen als gegen Togo.«
Den fast 40 000 Schweizern in Dortmund war die Leistung relativ egal - der Sieg übertünchte alle Schwächen. Noch nie hat eine »Nati«, so nennen sie in der Alpenrepublik ihre Elite-Auswahl, dieses Land mit seinen 26 Kantonen und vier Sprachzonen so geeinigt: »Hopp Schwiiz«, brüllen sie alle. Und wie es sich für die Nachfahren von Wilhelm Tell gehört, haben sich auch die Spieler auf das große Ziel Achtelfinale eingeschworen. Der Stuttgarter Abwehrspieler Ludovic Magnin berichtete aus der Kabine: »In der Halbzeitpause wussten wir alle: So kann es nicht weitergehen, wir müssen uns steigern. Wir haben uns gegenseitig heiß gemacht: Halten wir zusammen - oder nicht?«
Der Rütli-Schwur vor dem Wiederanpfiff. Eidgenossen in Fußballstiefeln, die sich steigerten und den wertvollen 2:0-Sieg buchen durften. Torwart Pascal Zuberbühler bekannte: »Sicher, die Leistung war nicht toll. Aber wir haben zum zweiten Mal zu null gespielt, das ist doch was.« Dass sich die Abwehr mehrfach wie Schweizer Käse mit extra großen Löchern präsentierte: abgehakt. Sie blicken nach vorn. Wie Marco Streller. Der Profi des 1. FC Köln hat einen Traum: »Jetzt wollen wir unbedingt Gruppensieger werden. Dann gehen wir den Spaniern aus dem Weg und dürfen das Achtelfinale in meinem Kölner Stadion austragen. Das wäre wunderbar.«
Der Sprung in die nächste Runde wird jetzt fest anvisiert. Die Schweizer kassierten in ihren letzten 21 Länderspielen nur eine Niederlage. Sie sind längst nicht mehr zweite Wahl, sondern boten oft erstklassige Vorstellungen. Die »Nati« von heute will mit den Mannschaften von früher auf keinen Fall verglichen werden.
Abwehrspieler Philippe Senderos, der zu den größten Talenten zählt, stellte fest: »Früher waren die Schweizer schon zufrieden, wenn sie in der Vorrunde mit Anstand ausgeschieden sind.« Das war einmal. Das von Kuhn geformte und verjüngte WM-Team 2006 brennt. Hopp Schwiiz.

Artikel vom 21.06.2006