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Blindflug durch Sternchen-Themen


Zu der Einführung des Zentralabiturs vom kommenden Schuljahr an schreibt künftiger Abiturient:
Der Abitur-Jahrgang '07 zittert vor der Einführung des Zentralabiturs Das Schuljahr 2005/2006 neigt sich dem Ende, das nächste steht vor der Tür. In etwa eineinhalb Monaten wird es vor allem für den kommenden Abiturjahrgang ernst. Doch nicht nur die Schüler stehen im Frühjahr auf dem Prüfstand. Das Zentralabitur NRW feiert 2007 seinen Einstand und lässt derweil alle Beteiligten zittern, denn die Reife und Funktionalität der nach der PISA-Studie überraschend schnell umgesetzten Bildungs-Reform scheint äußerst zweifelhaft.
Als kommende Abiturienten steht für uns Schüler die bis dato größte Prüfung unseres Lebens an. Bereits seit einem Jahr sammeln wir nun Punkte für die Zulassung zu den alles entscheidenden Klausuren Ende März nächsten Jahres. Eben diese werden nun nicht mehr aus Lehrervorschlägen ausgewählt, erstmalig werden sie 2007 vom Kultusministerium NRW gestellt werden. Es gilt also, so sieht es der Plan vor, alle Gymnasien auf einen Stand zu bringen und angemessen vorzubereiten.
Um zu gewährleisten, dass nirgends ein relevantes Thema vernachlässigt wird, veröffentlichte das Land frühzeitig die inhaltlichen Richtlinien für die einzelnen Fächer. Die so genannten »Sternchen-Themen« sind seitdem für jeden auf www.learnline.de einzusehen. So hangelt sich nun so mancher Lehrer an diesen Themen entlang und versucht, zum Teil mehr oder minder verzweifelt, den Vorgaben gerecht zu werden. Irrelevante Themen, interessant oder nicht, werden ausgeklammert: «Dafür haben wir leider keine Zeit, das ist kein Sternchen-Thema. Wir hinken sowieso schon hinterher.« Schon jetzt hält so mancher Betroffene den Begriff für einen akkuraten Vorschlag für das »Unwort des Jahres«.
Deutlich merkt man als Schüler die Verunsicherung vieler Lehrer. Es ist auch nicht verwunderlich, denn sie wissen ebenso wenig was auf sie und uns zukommt, auch für sie ist es die Premiere. Die jüngsten Entwicklungen und Tests geben außerdem wirklich niemandem Anlass zur Ruhe. So setzte das Kultusministerium bereits im Laufe des scheidenden Schuljahres zentrale Klausuren an, wobei den Schulen die Teilnahme freigestellt war.
Ein Testlauf, der zumeist erhebliche Mängel zu Tage förderte. Der ersten dieser Klausuren mussten sich die Grundkurse Mathematik stellen. Die Verärgerung war groß, als der Ausfall weit unter Durchschnitt lag. Und es wurde nicht besser. Am Hans-Ehrenberg-Gymnasium wurde beispielsweise oftmals kurzfristig die Teilnahme an Vergleichsklausuren abgesagt. »Dies ist nicht die Vergleichsklausur, die war für Sie schlichtweg nicht lösbar.« hieß es morgens in den Räumen. Die folgende Frage aus der Schülerschaft, ob man denn die Teilnahme an den Abiturklausuren auch kurzfristig absagen würde, verbirgt hinter ihrer humorvollen Fassade den ganzen Ernst der Situation: Wir sind im Begriff, den zunächst wichtigsten Abschluss unseres Lebens zu machen, doch Dank der überstürzten Bildungsreform Nordrhein-Westfalens gleicht der Weg dorthin einem Blindflug für alle Beteiligten, auf dem zu viele Sternchen und zu wenig Erleuchtung in Sicht sind.
JAKOB LANDWEHR
Bielefeld

Artikel vom 21.06.2006