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»Das Pferd« ist in
die Jahre gekommen

Gruppe E: Tschechiens Pavel Nedved war fassungslos

Köln (WB). Pavel Nedved stand im Anstoßkreis des Kölner Stadions und schüttelte fassungslos seinen Kopf mit der blonden Löwenmähne. Deprimiert, konsterniert, frustriert. 0:2 gegen Ghana. Die Endrunde in Deutschland hatte Höhepunkt und Krönung einer langen Karriere in der tschechischen Nationalmannschaft werden sollen.

Seine erste WM. Mit 33 Jahren. Aber nach diesem 0:2 ist vielleicht alles schnell vorbei. Denn Nedved sieht die kritische Tabellen-Konstellation nüchtern: »Alle vier Mannschaften können noch ins Achtelfinale kommen, aber wir haben die mit Abstand schlechteste Ausgangsposition.« Und er nennt gleich mehrere Gründe: »Mit den verletzten Jan Koller und Milan Baros fehlen die besten Angreifer. Zudem sind Vratislav Lokvenc und Tomas Ujfalusi gesperrt. Das 0:2 gegen Ghana hat uns garantiert nicht selbstsicherer gemacht - und den Italienern reicht im letzten Spiel ein Unentschieden.«
Dieses Duell steigt morgen um 16 Uhr in Hamburg. Nedved trifft dann viele gute Bekannte wieder, denn er spielt ja bereits seit zehn Jahren in Italien. Von 1996 bis 2001 bei Lazio Rom, danach trat er in Diensten von Juventus Turin die Regie-Nachfolge des zu Real Madrid abgewanderten Zinedine Zidane an.
In Turin lieben ihn die Zuschauer. Ein Antreiber, der immer unterwegs ist. Und sie verpassten ihm deshalb sehr schnell einen Spitznamen: »das Pferd«. Weil er rennt und rennt und rennt. Nedved sammelte Titel und Trophäen, war 2003 Europas Fußballer des Jahres. Was noch fehlt in seiner Sammlung ist ein Triumph mit der Nationalmannschaft. 1996 war Nedved schon mal ganz nah dran, doch das EM-Endspiel entschied Oliver Bierhoff mit seinem Golden Goal für Deutschland.
2004 steuerten die Tschechen erneut auf EM-Titelkurs. Dann aber scheiterten auch sie am späteren Sensationschampion Griechenland - Nedveds schwerste Stunde. Er schied schon nach 34 Minuten verletzt aus, und als die Fernsehkamera nach der Pause einmal das Gesicht des verzweifelten Spielers zeigte, wagte ZDF-Reporter Johannes B. Kerner tatsächlich diese Wertung: »Ich glaube, er wird seiner Mannschaft jetzt fehlen.« Was denn sonst?
Nach der EM trat Nedved zurück. Die Doppelbelastung Nationalelf und Juve wurde ihm zu viel. Doch als es in der WM-Qualifikation quietschte und klemmte, überredete ihn Trainer Karel Brückner zur Rückkehr. Frei nach Kerner: Einer wie Nedved fehlte dieser Mannschaft. »Ich wollte helfen, ich wollte mit zur WM«, sagte Nedved, der in der Relegation gegen Norwegen der wichtigste Mann auf dem Platz war.
Jetzt, in der Endrunde, spielte Nedved gegen Ghana aber auch nur noch den Mitläufer. Einsatz Nummer 89 war seine wahrscheinlich schwächste Vorstellung im Nationaltrikot. Das Pferd ist in die Jahre gekommen; es hat vielleicht schon zu viele Fußballfelder beackert. Müde und ausgelaugt räumte Nedved in Köln den Rasen.
Und jetzt geht es gegen Italien um alles oder nichts. Ausgerechnet Italien. Denn dieses Land ist Nedved zur zweiten Heimat geworden: »Ich mag die leichte Lebensart.« Schwere Zeiten stehen ihm dort trotzdem bevor. Denn sein Arbeitgeber Juventus Turin ist am tiefsten in den Skandal verstrickt und wird vielleicht sogar zum Zwangsabstieg verurteilt. Für Nedved steht bereits fest: »Wenn Juve tatsächlich in die dritte Liga strafversetzt wird, bin ich sofort weg.« Bella Italia? Es gab hier schon schönere Tage für Fußballprofis.

Artikel vom 21.06.2006