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Auf dem Sprung über den großen Teich

Joschka Fischer lehrt als Dozent an US-Elite-Universität

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Zwei Ehrendoktorhüte hat er schon - ohne Abitur. Jetzt setzt Joschka Fischer zum Sprung über den großen Teich an, um an einer US-Elite-Universität zu lehren.

In Princeton wird der Ex-Außenminister mit österreichischer Unterstützung ein Seminar über internationale Krisendiplomatie anbieten. Die für Herbst angekündigte Studienreihe sei inzwischen aus Geheimhaltungsgründen wieder von der Homepage der Hochschule verschwunden, weiß dazu das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«.
Befassen sollen sich die US-Studenten in dem Seminar mit »Schwierigkeiten, Herausforderungen und die Möglichkeiten der internationalen Diplomatie während der Krisen zwischen oder innerhalb von Staaten oder zwischen Staaten und nicht staatlichen Akteuren«. Fischer nimmt dabei gemeinsam mit dem österreichischen Staatsrechtler Wolfgang Danspeckgruber spezielle Regionen in den Blick - darunter Afrika, den Balkan, den Nahen Osten, Zentral- und Südasien.
Nicht als Professor, sondern als Dozent tritt der ehemalige Vizekanzler dabei auf. Seine genaue Bezeichnung lautet »Lecturer of Public and Internationale Affairs«. Das teilt die Woodrow Wilson School, einem Institut der Elite- Universität Princeton, per Pressemitteilung mit.
Die Berufung zum Beinahe-Professor ist eine hohe Auszeichnung für den Autodidakten Fischer. Unter einen knappen Dutzend Büchern aus seiner Feder gilt »Die Rückkehr der Geschichte« als ein Werk mit durchaus wissenschaftlichem Anspruch. Seit der Terror-Attacke des 11. September 2001 sei klar, so Fischers Kernthese, dass das Weltgeschehen dauerhaft aktiv gestaltet werden müsse - und zwar primär durch die Politik, nicht durch die Wirtschaft.
In seiner Analyse steht die aktuelle wie die mögliche künftige Rolle der einzigen Supermacht USA im Blickpunkt. Dabei sucht der Grünen-Politiker die Kontroverse mit konservativen Theoretikern wie Robert Kagan. Sein Fazit: Letztendlich seien USA und Europa aufeinander angewiesen und verfolgten wie in Nahost ohnehin gemeinsame Interessen.
Fischers Amt als Bundestagsabgeordneter der Grünen war schon mehrmals diskutiert worden. Eine Niederlegung des Mandats zum Herbstsemester ist jetzt absehbar.
Der am 12. April in Gerabronn bei Crailsheim geborene Fischer besuchte das Gottlieb-Daimler-Gymnasium in Stuttgart-Bad Cannstatt. Nach der 10. Klasse begann er eine Fotografenlehre, die er abbrach.
Zu seiner akademischen Ausbildung in Eigenregie schreibt das Munzinger-Archiv: »Er engagierte sich zusammen mit seiner ersten Frau Edeltraud in der 68er-Studentenbewegung und der Außerparlamentarischen Opposition (APO). In Frankfurt/Main widmete er sich, obwohl nie regulär an der Universität eingeschrieben, intensiv gesellschaftspolitischen Studien. Er hörte Adorno, Habermas und Negt und setzte sich eingehend mit Marx, Mao und Hegel auseinander.«
Fischers Förderer war nach dieser Quelle Hans-Jürgen Krahl, ein führender Kopf des »Sozialistischen Deutschen Studentenbundes« in Frankfurt. 1968 bis 1975 beteiligte sich Fischer als Mitglied der militanten Gruppe »Revolutionärer Kampf« an Demonstrationen, Straßenkämpfen und Hausbesetzungen. Weiter heißt es, sein Versuch, von 1971 an bei Opel in Rüsselsheim die Arbeiter zu politisieren, sei an seiner fristlosen Entlassung gescheitert.

Artikel vom 19.06.2006