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Der Zauber
des Magiers
ist verflogen

Gruppe G: Zidane am Scheideweg

Leipzig (dpa). Endet so eine Weltkarriere? War das Zentralstadion die letzte Bühne des Zinedine Zidane? Als ihn Raymond Domenech in der Nachspielzeit vom Feld holte, übergab Frankreichs Fußballzauberer seine Kapitänsbinde dem eingewechselten David Trezeguet.

Bei seinem Abgang würdigte er den Coach keines Blickes; verärgert schleuderte er sein Schweißband zu Boden. Aus, Ende, fini?
Es ist möglich, dass man den dreimaligen Weltfußballer beim 1:1 gegen Südkorea letztmals in einem Länderspiel sah. Nach der zweiten gelben Karte ist er an seinem 34. Geburtstag im entscheidenden Spiel gegen Togo (Freitag, 21 Uhr) zum Zuschauen verurteilt - wie der ebenfalls gelbgesperrte Eric Abidal. Zizous Zauber erlischt vielleicht nach 104 Länderspielen.
»Nein, nein. Daran verschwende ich keinen Gedanken. Die Mannschaft schafft das auch ohne mich«, versicherte Zidane, der eine positive Parallele zum WM-Triumph von 1998 zog: »Da war ich nach einer roten Karte sogar für zwei Spiele gesperrt, und wir holten trotzdem den Titel.« Diesmal allerdings muss die als Mitfavorit gestartete »Grande Nation« um den Einzug ins Achtelfinale zittern; erneut droht ein schmachvoller Vorrunden-K.o. wie 2002 in Südkorea. Zwar beendete Thierry Henry (9.) mit seinem 34. Länderspieltreffer die seit acht Jahren mit 368 torlosen WM-Minuten anhaltende Torflaute, doch Park Ji-Sungs Ausgleich (81.) riss die Franzosen aus allen Siegträumen.
Der sichtlich schockierte Domenech (54) gab sich kämpferisch und trotzig: »Wir leben noch und hoffen weiter.« In seinen Augen war das nicht gegebene Tor, Patrick Vieiras Kopfball, den Torwart Lee Woon-Jae hinter der Linie abwehrte, die Wende im Spiel: »Schade, dass es keine Videoanalyse gibt. Frankreich war schon immer dafür. Dieses Spiel hat uns weitere Argumente geliefert.« Henry zog kräftiger vom Leder: »Ein Skandal. Patricks Ball war einen guten Meter im Tor. Als wir es in der Kabine sahen, ist uns die Galle hochgekommen.«
Dass »Südkorea nicht gefährlich war und wir ein dummes Tor kassiert haben«, macht Thierry Henry nur noch wütender. Der vergeblich beim mexikanischen Schiedsrichter Benito Archundia intervenierende Zidane sprach von »Spielverfälschung«.
Andere Beobachter beschäftigten sich mehr mit der schlechten Verfassung des Weltmeisters von 1998. »Man sieht schon, dass diese Mannschaft etwas überaltert ist«, sagte FIFA-Präsident Joseph Blatter. Ex-Kapitän Marcel Desailly, dessen Länderspiel-Rekord (116 Spiele) von Lilian Thuram egalisiert wurde, erkannte: »Die Koreaner haben die physischen Schwächen der Blauen aufgezeigt.«
Die Franzosen griffen unisono zu Durchhalteparolen. »Wir werden uns bis zum Ende quälen«, meinte Zidane. »Wir werden uns reinhängen und gegen Togo Gas geben«, betonte Willy Sagnol. »Alles ist noch drin«, hofft Thierry Henry wie auch Fabien Barthez.
Derweil frohlocken die Koreaner. »Ich bin stolz auf die Mannschaft, die gegen ein hervorragendes französisches Team einen Rückstand aufgeholt hat. Es wird nicht oft vorkommen, dass ein fußballerisch kleines Land gegen die großen Franzosen mithält«, meinte Trainer Dick Advocaat. Der umjubelte Torschütze Park Ji-Sung ließ seinen Träumen freien Lauf: »Jetzt können wir gegen die Schweiz sogar Gruppensieger werden.« 2002 wurde Co-Gastgeber Südkorea Vierter.

Artikel vom 20.06.2006