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»Das nächste
Euro-Afrikakorps
dürfte seine Container-Kasernen
in Darfur/Sudan
aufbauen.«

Leitartikel
Der Sudan zerfällt

Flucht ins Zentrum der Krisenregion


Von Reinhard Brockmann
Seit dem Friedensschluss über Darfur im Westsudan - im Mai unterzeichnet, inzwischen fast wieder gescheitert - ist die Lage verwirrender denn je. Die Deutsche Welthungerhilfe kann ihre Juni-Rationen für bald 400 000 Menschen wegen extrem unsicherer Verhältnisse nicht verteilen. Zugleich flüchten sich ausgerechnet zehntausende Menschen aus dem Nachbarland Tschad in diese Region.
Denn auch von dort werden jetzt gewaltsame Übergriffe gemeldet. Im Stil der gefürchteten Dschanjawid-Reitermilizen werden gleichfalls Dörfer überfallen, Vieh geraubt und Menschen aus den letzten Oasen in kargen Sand- und Felswüsten getrieben.
Die meisten, die schutzsuchend die Grenze zur Krisenprovinz Darfur überqueren, sind Tschader, aber es sind auch Sudanesen darunter, die ursprünglich vor drei Jahren vor dem Darfurkonflikt nach Westen gezogen waren und nun erneut die Flucht ergreifen mussten. Das berichtet die Organisation Ärzte ohne Grenzen. Die Nothelfer sahen Schusswunden sowie Verletzungen von Schlägen, Äxten und Macheten. Ihre Berichte von 17 Standorten in Darfur und sieben im Tschad geben ein einigermaßen zuverlässiges Lagebild.
Der Zerfall des Sudan, des flächengrößten Staates auf dem afrikanischen Kontinent, schreitet voran. Für den Süden ist die Abstimmung über eine eigene Staatlichkeit beschlossene Sache. Im Grenzbereich zu Äthiopien und Eritrea häufen sich die Unruhen und erstmals hat ein Vertreter der in sich gespaltenen SLA Unabhängigkeit für Darfur gefordert.
Kaum abzuschätzen ist, ob und wieweit Einfluss der USA und Europas möglich ist. Denn China und Malaysia haben das Ölgeschäft in engster finanzieller Verbundenheit mit der Militärregierung in der Hauptstadt Khartoum fest im Griff. Daneben regiert Kaida möglicherweise stärker rein, als nach außen sichtbar ist. Jedenfalls hat Osama bin Laden lange Zeit am Zusammenfluss von weißem und blauem Nil sein Quartier gehabt und jüngst einen Stellvertreter den Westen vor jeglicher Einflussnahme auf Sudan gewarnt.
Tatsächlich könnte nach dem Kongo das nächste europäische Afrikakorps exakt in der Krisenregion Darfur seine gigantischen Container-Kasernen bauen. Der Darfur-Auftrag an 8000 Soldaten der Afrikanischen Union läuft im Herbst aus.
Unterdessen hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag tausende Morde und mehrere hundert Fälle von Vergewaltigung dokumentiert. Chefankläger Luis Moreno Ocampo kündigte eine Serie von Anklagen an. Ocampo hatte vor einem Jahr einen versiegelten Umschlag mit 51 Namen mutmaßlicher Kriegsverbrecher bei Kofi Annan hinterlegt. Darunter sollen Mitglieder der sudanesischen Regierung, Anführern der von ihr unterstützten Reitermilizen, aber auch der Rebellengruppen sein. Als sicher gilt, dass Minni Minavi darunter ist, der einzige Rebellenchef, der den Friedensvertrag unterzeichnet hat.

Artikel vom 19.06.2006