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»Schade, man
hört Sie gar
nicht mehr«

Anneliese Rothenberger wird 80

Von Gisela Mackensen
Salenstein/Schweiz (dpa). Anneliese Rothenberger gehört zu den erfolgreichsten deutschen Sängerinnen der Nachkriegszeit. Berühmt geworden ist die in Mannheim geborene Sopranistin vor allem als Mozart- und Richard-Strauss-Interpretin. Ihr besonderes Timbre und ihre Darstellungskunst machten sie zu einem begehrten Gast an den namhaften Opernhäusern der Welt.

Einem Millionen-Publikum wurde die Sopranistin mit ihren Musiksendungen im Fernsehen bekannt. Am Montag wird die Künstlerin 80 Jahre alt. In Salenstein am schweizerischen Ufer des Bodensees ist die Kammersängerin seit langem zu Hause - und bei guter Gesundheit. Ihren runden Geburtstag will so jedoch nicht feiern. »Ich habe sogar eine Gala im ZDF abgesagt, ich möchte den Rummel nicht«, sagte sie. Dass sie noch gefragt sei, genieße sie zwar schon. »Das größte Geburtstagsgeschenk« sei jedoch, ihren Wunsch nach Zurückgezogenheit zu respektieren.
Ihre Verehrer unter den Kritikern bezeichneten die zartgliedrige, blonde Sängerin einst als »Lady von damenhafter Schönheit, gewitzt, intelligent, geschäftstüchtig und begabt«. Doch als »Lulu« in Alban Bergs gleichnamiger Oper konnte sie auch zum »Luder mit Engelsgesicht« werden, wie der Kritiker der »New York Times« einst schrieb, als die Sängerin mit dieser Titelpartie Triumphe an der Metropolitan Opera in New York feierte.
Ihre Begabung zeigte sich schon früh, so dass sie in Mannheim an der Musikakademie Gesangsunterricht bekam. Nach ihrem Debüt am Stadttheater Koblenz wurde sie 1948 Ensemblemitglied der Hamburger Staatsoper, bis sie 1956 nach Düsseldorf wechselte und ein Jahr später nach Wien. 1952 war Rothenberger erstmals bei den Edinburgh-Festspielen zu Gast und legte damit den Grundstein für ihre internationale Karriere. Bald darauf folgte eine Einladung zu den Salzburger Festspielen, denen sie bis 1973 die Treue hielt; dafür wurde sie später mit der begehrten »Max-Reinhardt-Plakette« geehrt.
1960 gab sie ihr umjubeltes Debüt in New York als »Zdenka« in der Strauss-Oper »Arabella«, 1961 ein Gastspiel an der Mailänder Scala. Lange Tourneen führen sie nach Südamerika (1952/53), in die USA und in die Sowjetunion (beide 1970). Ihr Repertoire umfasste aber auch Operettenpartien. Populär wurde sie ferner durch ihre Rollen in Musikfilmen. Bereits 1955 spielte sie in der englischen Verfilmung der »Fledermaus« von Johann Strauß mit.
Von 1970 an gelang ihr eine zweite Karriere im Fernsehen. Bei der älteren Generation ist sie mit Sendungen wie »Anneliese Rothenberger gibt sich die Ehre« oder »Traumland Operette« unvergessen. Einige Kritiker rügten ihren Wechsel zur TV-Unterhaltung. »Ach, das waren ein paar Blaustrümpfe, die mir das übel nahmen, aber das war kleinkariert gedacht«, entgegnete sie ihnen 2003 in einem Interview eines Magazins. 1983 beendete sie ihre Opern-Karriere, 1989 gab sie ihren letzten Liederabend. Zu einem Comeback ließ sie sich nicht überreden. Lieber höre sie den Satz »Schade, man hört Sie gar nicht mehr« als »Die Alte singt immer noch«, befand sie einmal.
Rothenberger ist mit vielen Preisen vom Bundesverdienstkreuz über »Bambis« bis zum »Echo Klassik« ausgezeichnet worden. Seit Jahren pflegt sie ihr Hobby, die Malerei. Öffentliche Auftritte beschränken sich auf Ausstellungen ihrer Blumenbilder in der näheren Umgebung, beispielsweise auf der Mainau. In der Künstlerszene schon fast Seltenheitswert hatte ihre 44 Jahre andauernde Ehe mit dem Journalisten Gerd W. Dieberitz, der auch ihr Manager war. Ihr Mann starb 1999 an Krebs.

Artikel vom 17.06.2006