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Stars für einen Sommer

Angolaner genießen in Celle ihre unverhoffte Popularität


Von Dirk Schuster
Hannover/Celle (WB). Stellen Sie sich mal vor, Jens Lehmann hätte seit zwei Jahren kein Pflichtspiel bestritten und dürfte trotzdem bei der WM das deutsche Tor hüten. Was hierzulande undenkbar ist, ist für Luis Oliveira Goncalves gar kein Problem. Für Angolas Trainer ist Joao Ricardo die Nummer eins. 0:0 - der Torwart bedankte sich für das Vertrauen mit einer tadellosen Leistung gegen Mexiko.
Zwei Jahre ist es her, dass Ricardos Vertrag beim portugiesischen Profiklub Moreirense auslief und nicht verlängert wurde. Seitdem ist Ricardo vereinslos. Doch weil er versprach, sich bei Portimonense fit zu halten, sicherte ihm Goncalves im Gegenzug zu, in der Qualifikation für die WM auf ihn zu bauen.
Jetzt, da das Turnier für die Südwestafrikaner 180 Minuten alt ist, darf sich Goncalves bestätigt fühlen. Nach der Partie gegen Mexiko wählten die Journalisten Angolas Schlussmann zum Spieler des Spiels.
Was das für Auswirkungen hatte, zeigte sich einen Tag später: Die Stadt Celle hatte die in ihrer Stadt residierenden WM-Debütanten zum Angola-Freundschaftsfestival eingeladen; die darin eingebundene Autogrammstunde der Kicker lockte tausende Menschen in die Altstadt. »Für uns gibt es derzeit Wichtigeres als Fußball. Wir wollen hier nur für ein bisschen Spaß und Unterhaltung sorgen«, sagte Trainer Goncalves, und der Musikzug des Schützenvereins Groß Hehlen stimmte die angolanische Nationalhymne an.
Vor zwei Wochen als No-Names in Hannover gelandet, wurden die Angolaner wie Stars gefeiert. Allein im Umgang mit dem unverhofften Heldentum mangelt es vielen von ihnen an Routine.
Trikots, T-Shirts, Kappen, Hüte, ja sogar nackte Haut: Länger als eine Stunde signierten die Afrikaner alles, was ihnen entgegengestreckt wurde. Dass die Jagd auf Autogramme für chaotische Zustände sorgte, ist der schlechten Organisation der Stadt Celle zuzuschreiben. Zum Glück zählte der Samstag zu den kühleren Tagen im deutschen WM-Sommer, sonst wäre das Rot-Kreuz-Personal in der Hitze des Gefechts sicher häufiger als einmal gebraucht worden.
Dass Torwart Joao Ricardo von allen derjenige war, der am längsten Autogramme schrieb, war bestimmt kein Zufall. Auf seine alten Profitage genoss der 36-Jährige das Bad in der Menge und setzte, ohne sonderlich angestrengt zu wirken, für jedes Erinnerungsfoto sein sympathischstes Lächeln auf.
Das Achtelfinale ist für Angola noch möglich. Dass das bisherige WM-Abschneiden schon als riesiger Erfolg gewertet werden muss, lässt auch ein Besuch bei Karstadt in Celle erkennen: Hier wird das Trikot des gescheiterten Paraguay bereits zum Schnäppchenpreis von 29,95 Euro angeboten. Das Trikot Angolas ist ausverkauft.

Artikel vom 19.06.2006